Keine runde Sache

In älteren Mathebüchern findet man häufig die klassische Textaufgabe mit der Schnecke und dem Brunnen: In einem 8 Meter tiefen Brunnen sitzt eine Schnecke. Jeden Tag schafft sie es, den Brunnenschacht sechzig Zentimeter hinaufzukriechen. Nachts rutscht die Schnecke aber wieder die Hälfte der zurückgelegten Strecke hinunter. Wann wird die Schnecke aus dem Brunnen herauskriechen können? Lässt man den mathematischen Subtext beiseite, so kann man aus dieser Geschichte immerhin noch lernen, dass das, was aus einem Brunnen herauskriecht, zwar mit Rückschlägen leben muss, aber letztlich doch irgendwann ans Ziel kommt.

Und so wird es niemanden verwundern, dass Samara dieser Tage wieder aus ihrem nassen Brunnengrab emporsteigt. Der böse Geist in Mädchengestalt hat in The Ring (USA 2002) einen Fluch in die Welt gesetzt, der via Video verbreitet wird: Wer das Video anschaut, das in surrealen Bildern das Leiden des lebendig in einem Brunnen begrabenen Mädchens bebildert, ist nach Ablauf von sieben Tagen des Todes – es sei denn, er vervielfältigt das VHS-Band und lässt es jemand anderen sehen. Ein Fluch als Kettenbrief, so die hochinteressante Idee, die der Film ausformuliert. Und eine dankbare Ausgangssituation für eine Fortsetzung: Wer auch immer mit diesem Fluch in Berührung kommt, wird vor ein moralisches Dilemma gestellt: Trägt man den Fluch weiter oder geht man an ihm zugrunde? So man sich entschließt, den Fluch weiterzutragen, wen wählt man dafür aus? (Diese Situation wäre leicht auszuweiten und zu verschärfen: In unserer vernetzten Welt potenziert sich die skizzierte Verantwortung noch, denn die mediale Vervielfältigung und Verbreitung von Inhalten ist noch einfacher geworden und zugleich schwerer einzudämmen. Ist es schon nicht einfach ein kursierendes VHS-Band aufzuspüren, so vermöchte wohl niemand the_ring.mpeg aufzuhalten.)

Zu Beginn von The Ring 2 scheint es erst, als würde die Fortsetzung in dieses spannende Gebiet vorstoßen (und zugleich den Anfang des ersten Teils mit dem Wissen um den Fluch erneut durchzuspielen): Ein Jugendlicher will ein Mädchen dazu bringen, sich ein „really scary movie“ anzusehen; er ist nervös und hat das Mädchen, „some stupid broad from school“, wie er einem Freund am Telefon mitteilt, ausgewählt, um den Fluch auf es zu übertragen. Leider verschenkt der Film diese Ausgangssituation; das eingangs eingeführte VHS-Band dient nur dazu, die Handlung ins Rollen zu bringen, und wird von Rachel Keller (Naomi Watts), der schon aus dem ersten Teil bekannten Protagonistin, alsbald verbrannt (was es mit einem erbosten Quietschen quittiert). Rachegeist Samara, offenbar nachhaltig durch diese Tat irritiert, verabschiedet sich fürderhin von ihrem Leitmedium und taucht ab nun, wie es ihr bzw. dem Drehbuch passt, in Spiegeln, Fotoapparaten oder Wasseroberflächen auf. War ihr Ziel im ersten Teil, ihren Fluch in die Welt zu tragen, so geht es ihr diesmal etwas handfester darum, von Rachel „adoptiert“ zu werden.

Regisseur Hideo Nakata, der Schöpfer der japanischen Filmvorlage, hat mit dem zweiten Teil der amerikanischen Ring-Reihe einen nur wenig Furcht einflößenden und vor Klischees strotzenden Gruselfilm vorgelegt. Die originelle Grundidee wird verdrängt von allzu bekannten Mustern aus dem Fundus des scary child movie der 70er und 80er Jahre: Böse blickende Kindergesichter, friedliche Tiere, die sich aus heiterem Himmel in aggressive Bestien verwandeln, Telekinese etc. pp. Klassiker des Genres wie Der Exorzist oder Das Omen werden allenthalben zitiert (und auch im Presseheft an prominenter Stelle genannt). Nicht zuletzt ist auch die Besetzung der Rolle von Samaras leiblicher Mutter mit Sissy Spacek (Carrie) ein impliziter Hinweis auf die Vorbilder. Das im Presseheft programmatisch angepeilte Niveau der Klassiker erreicht The Ring 2 aber an keiner Stelle: Allzu unmotiviert sind die zitierten Versatzstücke montiert, zu beliebig die Schockeffekte, zu konfus die Geschichte, die der im ersten Teil enthüllten back story noch eine weitere hinzufügt (und, Gott bewahre, im Hinblick auf weitere Sequels sogar noch Raum für weitere Streifzüge in die Vergangenheit lässt).

Leidlich interessant ist der Film, wenn man ihn als Stilstudie eines japanischen Regisseurs betrachtet, der sich am westlichen Gruselfilm abarbeitet. Als Fortführung von The Ring ist er eine herbe Enttäuschung. Wenn Samara am Ende des Films wieder den Brunnen herunterrutscht, hat der Zuschauer das Interesse an ihr weitgehend verloren, und sie wird es nicht leicht haben, aus ihm wieder herauszuklettern. Aber das kennt man ja aus der Textaufgabe mit der Schnecke: Wer aus einem Brunnen herauswill, muss mit Rückschlägen leben.

The Ring Two
(USA 2005)
Regie: Hideo Nakata, Buch: Ehren Kruger, Kamera: Gabriel Beristain, Musik: Hans Zimmer, Schnitt: Michael N. Knue
Darsteller: Naomi Watts, Simon Baker, David Dorfman, Elizabeth Perkins, Gary Cole, Sissy Spacek u.a.
Länge: 111 Minuten
Verleih: UIP

Eine Antwort auf „Keine runde Sache“

  1. jeah ich finde es toll-deine verfassung und den film auch^^
    ich liebe ihn und würde wirklich gerne in einem der teile mitspielen,da dies aber nicht geht,habe ich vor,meinen eigenen film zu drehen mit freunden.das wird hoffentlich lustig

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