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Seit „The Blair Witch Project“ ist die Suggestion von Authentizität zu einem der zentralen Affektästhetiken des Horrorfilms geworden. Dass das, was die Filme an Schrecklichem und Gruseligem vorführen, so geschehen sei, wie es im Film zu sehen ist, wird mit Mitteln des Dokumentarischen zu beglaubigen versucht. Nicht selten treten die Spielfilme sogar direkt als Dokumentarfilme auf und verkleiden ihre Narration als (nachträglich montierten und bearbeiteten) Bericht. Auf diese Weise lassen sich selbst an die unwahrscheinlichsten Sujets Attribute von Wahrheit und Authentizität koppeln. Der jüngste Spielfilm des spanischen Horrorfilm-Regisseurs Jaume Balagueró, „Rec“, ist der jüngste Beleg dieser Strategie.

„Rec“ gibt vor ein Beitrag in einer spanischen TV-Dokumentarserie mit dem Titel „Während Sie schlafen“ zu sein. Das Konzept der Serie besteht darin, dass ein Film-Team, bestehend aus einem Kameramann und einer Reporterin, nachts Sendungen über Menschen und Unternehmen erstellt, die dann tätig sind, wenn andere im Bett liegen. Im vorliegenden Fall befindet sich Angelá Vidal (Manuela Velaco) mit ihrem Kameramann auf einer Feuerwache in Madrid. Dort verläuft alles mehr als ruhig und das Filmteam wünscht sich neben den etwas langweiligen Interviews, die sie vor Ort drehen, dass etwas spannendes passieren würde – vielleicht ein Feuer oder ähnliches. Als dann ein Notruf über eine in ihrer Wohnung eingesperrte Frau eingeht, verspricht sich Angelá davon zwar nicht spektakuläres, begleitet die Feuerwehrleute jedoch zum Einsatzort. In dem Haus, so stellt sich bald heraus, ist eine Krankheit ausgebrochen, die die an ihr Infizierten in den Wahnsinn treibt und andere Menschen anfallen, beißen und ebenfalls infizieren lässt. Als sich die Feuerwehrleute und das Filmteam dieser Gefahr bewusst werden, sitzen sie bereits in der Falle, denn das Gesundheitsministerium hat das Gebäude hermetisch abgeriegelt und droht jeden, der es zu verlassen versucht, zu erschießen. Nach und nach werden alle übrigen Bewohner des Hauses sowie die Feuerwehrleute Opfer der heimtückischen Krankheit.

„Die Kamera als Zeuge“ – das ist das zentrale ästhetische Motiv von „Rec“, das bereits im Titel des Films anklingt. Aufnehmen, das, was passiert, in Bild und Ton festhalten, ein Filter, der das Aufzuzeichnende nach moralischen Kriterien vorab auswählt existiert nicht. Neben dem Erschreckenden, was im Haus vor sich geht, ist es genau diese „Philosophie“ der Fernsehsendung, die den Horror in Balaguerós Film erst erzeugt. Dass es ihr letztlich nur um sie selbst geht und sowohl die Menschen vor als auch hinter der Kamera zu Protagonisten des Aufzeichnungsspektakels werden, ist das grausige Resultat von „Rec“. Als in einer Sequenz ein in das Haus gekommener, mit einem Schutzanzug bekleideter Beamter vom Gesundheitsministerium dem Team das weitere Aufnehmen untersagt (ein bereits im Haus anwesender Polizist hatte das zuvor schon vergeblich versucht), macht sich die Kamera sogar selbstständig: Ein kleines Mädchen schaltet das am Boden liegende Gerät an und setzt die kurz zuvor unterbrochene Aufzeichnung fort. Dieses „Filmen ohne Subjekt“, bei dem es keinen personalen Point-of-View mehr gibt und die Kamera nun endgültig die Funktion eines Überwachungsinstrumentes übernimmt, findet seinen Höhepunkt in den Schlussaufnahmen von „Rec“, in welchem die Kamera als der „letzte Überlebende“ aus den Geschehnissen herausgeht.

„Rec“ steht mit dieser Inszenierung des Dispositivs in der Tradition von selbstreflexiven Horrorfilmen wie „The Blair Witch Project“, „Mann beißt Hund“ oder „Natural Born Killers“. Anders als in diesen drei Filmen geht es hier jedoch nicht um eine vordergründige Kritik des immer schon dialektischen Produktions-Rezeptionsverhältnisses. Viel dokumentiert „Rec“ die Konsequenz eines sich immer weiter fortschreibenden Verhältnisses zwischen dem Privaten, für das die Medien berichten und dem Privaten aus dem sie berichten. Dieses Verhältnis ist eng an das Phänomen der scheinbaren Authentizität der Aufzeichnung gekoppelt. Als das Filmteam die Hausbewohner einem nach dem anderem zu den Vorkommnissen interviewt, kommt es immer wieder zu ungewollten „Inszenierungen“ der Menschen vor der Kamera. Sie verhalten sich so „als würden sie gefilmt“, was dem dokumentarischen Gestus widerspricht – demzufolge werden sie instruiert, sich so zu verhalten, als würden sie nicht gefilmt. Aus das Team selbst offenbart diese Nichtinszenierungs-Inszenierungen etwa, wenn Angelá zu Beginn von „Rec“ mit dem Kameramann immer wieder probt, wie er sie am besten aufnehme, dass es „natürlich“ wirkt. Dabei stehen die Anforderungen, die der Zuschauer nachträglich an den Film steht, im Vordergrund: Alles soll schön aber echt, dramatisch aber nicht künstlich, authentisch aber nicht langweilig wirken. Schon hier ist die Kamera die Probemaschine: „Das können wir später immer noch herausschneiden.“

Balagueró gelingt es diesen Konflikt nicht nur ganz zwanglos in der Interaktion der Figuren des Films zu spiegeln. Über bekannte Sujets des Horrorfilms (das Zombiemotiv in Verbindung mit dem des klaustrophobischen „Haus-Horrors“ von „House on Haunted Hill“ und „Night of the Living Dead“ bis „Saw“) erzeugt er einen doppelgesichtigen Grusel, der einerseits aus diesen Motiven, andererseits aus der Totalgegenwärtigkeit der Medien resultiert. Vor allem die oft beinahe provokativ wirkende „Niedlichkeit“ der Hauptdarstellerin, mit der sie die aggressive Vorgehensweise der TV-Reporterin übertüncht, leisten hier beträchtliches. Die im TV nicht unerfahrene und durch das spanische Fernsehen zu Bekanntheit gelangte Schauspielerin Manuela Velasco hat einiges zum Gelingen von „Rec“ beigetragen.

Hauptdarsteller, in „Rec“ wie auch in „Während Sie schlafen“, ist jedoch die Kamera. Kino-Zuschauer von Balaguerós Film berichten, dass sie den Kinosaal verlassen mussten, weil sie den Strudel der Bilder, die entstehen, wenn jemand mit eingeschalteter Kamera in der Hand durch ein Treppenhaus flüchtet, nicht ertragen konnten. Mit seiner furiosen Inszenierung und Montage setzt sich „Rec“ (nach „Clover Field“) an die Spitze des derzeitig wieder boomenden authentisierten First-Person-Horrorfilms. Diese „abstoßenden“ Bildästhetiken verlangen eine ganz eigene, neue Rezeptionsweise und lösen – wie vor 30 Jahren der Splatterfilm – wieder einen ganz neuen avantgardistischen Zweikampf zwischen Film(emacher) und Publikum aus. An dessen Ende könnte als Apotheose solcher Inszenierungen vielleicht ein leerer Kinosaal stehen, aus dem alle Zuschauer noch vor Ende des Films geflüchtet sind. Zurück bliebe auch dann nur eine Kamera, die als übrig gebliebene nichts mehr filmt und es konsequenterweise auch niemandem mehr zeigt.

[Rec]
Regie: Jaume Balagueró & Paco Plaza; Buch: Jaume Balagueró, Luis Berdejo, Paco Plaza; Kamera: Pablo Rosso; Schnitt: David Gallart
Darsteller: Manuela Velasco, Ferran Terraza, Jorge Serrano, Pablo Rosso, David Vert u. a.
Verleih: 3L/e-m-s
Länge: 78 Minuten

Die Blu-ray-Disc von e-m-s

Mit „Rec“ wendet sich e-m-s von den zuvor sehr günstigen und sehr schlecht bzw. gar nicht ausgestatteten BRDs ab und liefert eine Disc im unteren Preissegment, die sich trotzdem sehen lassen kann. Gerade die TV-Kameraästhetik scheint dem HD-Medium sehr zu liegen. Ein bildberuhigte 24p-Equipment vermag zwar auch keine wirkliche Ruhe ins Bild zu bringen, das liegt aber keineswegs am Mastering, sondern ist beabsichtigt. Besonders interessant sind übrigens die TV-Spots aus dem Extras-Menüs, weil sich in ihnen die gesamte ästhetische Strategie des Films ja noch einmal verdoppelt. Eine durchaus gelungene Publikation.

Die Ausstattung der Blu-ray-Disc im Einzelnen:

Bild: 1,85:1 (anamorph), 1080p/24p
Ton: Deutschn (DTS HD Master 5.1), Spanisch (DTS HD Master)
Untertitel: Deutsch
Extras: Making of, Originaltrailer, TV-Spots, Bildergalerie
FSK: keine Jugendfreigabe
Preis: 20,99 Euro
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