Biografische Katastrophe

Biographische Vergangenheitsbewältigung im Film hat es zuhauf gegeben. Neben den Bildern des Erinnerns nimmt das Verdrängen und Vergessen einen besonderen Stellenwert ein. Denn es ist ein besonders reizvolles filmisches Motiv, dem Zuschauer Einblick zu gewähren in die »kranke Welt« des Protagonisten. Wir sind in der Lage, seine Welt so verzerrt und fragmentiert wahrzunemen, wie er sie wahrnimmt, und werden gezwungen, das zu übersehen, was er übersieht. Wir adaptieren seine Lebenslügen. Als Gesunde erlaubt uns das Kino, für kurze Zeit mit dem kranken Protagonisten krank zu werden.

Trevor ist nur noch ein Schatten seiner selbst. Seit einem Jahr, offenbart er der Prostituierten Stevie, hat er nicht mehr geschlafen. Er ist bis auf die Knochen abgemagert, und in seiner Firma verursacht er aus Schwäche und Müdigkeit einen schweren Arbeitsunfall, bei dem sein Kollege Miller einen Arm verliert. Doch für Trevor stellen sich die Zusammenhänge anders dar. Er ist einer Verschwörung auf der Spur, die die Vernichtung seiner Person zum Ziel hat. In seiner Wohnung findet er merkwürdige, bedrohliche Notizen, in der Firma begegnet er einem Mitarbeiter namens Ivan, der aber auf keiner Gehaltsliste steht. Dieser Ivan schleicht sich Trevor zufolge zusehends in sein Leben ein: Er wiegelt Stevie gegen ihn auf, verbündet sich mit Miller, um den Arbeitsunfall grausam zu rächen und ist schließlich auch für die mysteriösen Botschaften in Trevors Wohnung verantwortlich. Als dieser Ivan dort auf frischer Tat ertappt, kommt es zu einem Kampf, an dessen Ende Trevor Ivan die Kehle durchschneidet. Mit letzter Kraft schleppt der die Leiche Ivans ans Meer, um sie zu versenken. Als er dem den Abgrund hinabrollenden Kadaver hinterhersieht, erlebt er eine gewaltige Überraschung.

Der Intensität und Präsenz, mit der Christian Bale den magersüchtigen Trevor spielt, vermag man sich nicht zu entziehen. Mit unglaublicher Einfühlsamkeit und Ruhe verleiht er der Figur, die am psychischen und physischen Abgrund steht, Konturen. Dieser Figur verdanken auch alle anderen Pro- und Antagonisten des Films ihre Energie – und das durchaus in einem doppelten Sinne. Denn es stellt sich im Verlauf der Handlung immer mehr heraus, daß das Realitätsprinzip Trevors unter seinem desolaten Zustand nachhaltig gelitten hat, und nicht jede Person, der er begegnet, auch wirklich existiert. Trotz der psychotischen Wende, die recht bald die Handlungen Trevors bestimmt, bleibt der Zuschauer stets auf seiner Seite und glaubt eher seiner Sicht der Dinge als der seiner Umwelt.

Daß dies gelingt, ist auf die äußerst empathische und um Authentizität bemühte Charakterzeichnung Trevors zurückzuführen. Seine Freundlichkeit und Warmherzigkeit, die niemals als Vorwand diskreditiert wird und mit der er alle anderen Figuren für sich gewinnt, bilden die ideale Grundlage für die finale Wendung des Films. Und diese wirkt hier – selten genug – keineswegs als Ausrede des Plots, um sich nachträglich »mysteriös« zu geben, sondern bebildert eine erzählerisch plausible psychische Katastrophe, an deren Ende der Protagonist die Wahrheit über sich selbst entdeckt.

Die Ästhetiken ordnen sich allesamt dem Spiel der Darsteller unter. Sie lassen genügend Raum für das »beteiligende neurotische Miterleben« des Zuschauers, für welchen jede Wendung hin zur Wirklichkeit genau dieselbe Verwirrung mit sich bringt, wie für Trevor. Ähnlich zu Filmen wie »Lost Highway« oder »High Tension« sind die Bilder in The Machinist nur augenscheinlich aus einer auktorialen Perspektive gefilmt. Sie sind Subjektiven, die zweierlei leisten: Sie zeigen uns die Welt mit Trevors Augen, und sie zeigen uns Trevor in seiner Welt. Damit changiert unsere Perspektive zwischen dem kranken Bild und dem Bild des Kranken und verdeutlicht uns das ganze Ausmaß der biographischen Katastrophe. Diese bricht jedoch zu keiner Zeit über Protagonist wie Zuschauer herein, sondern bahnt sich an und bereitet sich mit einer zwangsläufig anmutenden Langsamkeit vor. The Machinist ist gerade aufgrund seiner Ruhe und seiner Figurenzeichnung ein Film geworden, der sich jeder Genrekonvention erfolgreich und souverän zu entziehen vermag und stattdessen als Profilstudie über seine Figur und als Studie über die neurotisch-konstruktivistische Weltwahrnehmung fasziniert.

The Machinist
(La Maquinista, Spanien 2004)
Regie: Brad Anderson; Buch: Scott Kosar; Kamera: Xavi Giménez; Schnitt: Luis de la Madrid; Musik: Roque Baños
Darsteller: Christian Bale, Jennifer Jason Leigh, Aitana Sánchez-Gijon, John Sharian u. a.
Länge: 102 Minuten
Verleih: e-m-s

Die Blu-ray von e-m-s

„The Machinist“ ist eine der ersten Blu-ray-Discs aus dem Hause e-m-s. Ob dies und der vergleichsweise geringe Verkaufspreis die spartanische Ausstattung der Edition schon rechtfertigen, muss jeder für sich entscheiden. Außer dem Film finden sich nur noch eine Reihe von Trailern (in einem etwas ungewöhnlichen Mini-Format) zu weiteren Blu-ray-Produktionen des Hauses auf der Disc; kein Hauptmenü, keine Extras, kein Audiokommentar, nichts. Etwas mager nicht nur in Anbetracht der Speichermöglichkeiten des neuen Mediums, sondern auch im Vergleich zur DVD-Special-Edition aus demselben Hause, die über all dies verfügt. Aber: Die Aufbereitung des Bildes für die Blu-ray-Version des Films ist großartig gelungen. Gerade die in der Bleichbadüberbrückung entstandene Farbarmut wird durch den Kontrastreichtum der Blu-ray hervorragend unterstützt. Das Bild wirkt hier nun noch karger als auf der DVD, was den Effekt, also die verstörende Wirkung des Films, ein weiteres Mal unterstreicht.

Die Ausstattung der Blu-ray-Disc im Einzelnen:

Bild: Widescreen (16:9, 2.35:1)
Ton: Deutsch (DTS HD Master Audio 5.1), Englisch (DTS HD Master Audio 5.1)
Untertitel: Deutsch
FSK: ab 16 Jahren
Preis: 20,95 Euro

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(Kritik zuerst erschienen bei Schnitt. Eine alternative Besprechung bei F.LM findet sich unter diesem Link.) 

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