Kurzrezensionen Februar 2008

  • Siegfried J. Schmidt (Hg.): Medien und Emotionen. Münster: Lit 2005.
  • Jacques Derrida/Bernard Stiegler: Echographien – Fernsehgespräche. Wien: Passagen 2006.
  • Jörg Buttgereit (Hg): NEKROmantik. Berlin: Martin Schmitz Verlag 2007.
  • Thomas Elsaesser/Malte Hagener: Filmtheorie zur Einführung. Hamburg: Junius 2007.
  • Sybille Krämer/Werner Kogge/Gernot Grube (Hgg.): Spur – Spurenlesen als Orientierungstechnik und Wissenskunst. Frankfurt am Main: Suhrkamp 2007.
  • Martin Zenck/Tim Becker/Raphael Woebs (Hgg.): Gewaltdarstellung und Darstellungsgewalt in den Künsten und Medien. Berlin: Reimer 2007
  • Michael Ruoff: Foucault-Lexikon. Paderborn: Fink 2007.
  • F. T. Meyer: Filme über sich selbst. Strategien der Selbstreflexion im dokumentarischen Film. Bielefeld: transcript 2005.
  • Friedrich Kittler: Musik und Mathematik. Band I: Hellas. Teil 1: Aphrodite. München: Wilhelm Fink 2006.
  • Peter Berz/Annette Bitsch/Bernhard Siegert (Hg.): FAKtisch. Festschrift zum 60. Geburtstag von Friedrich Kittler. München: Wilhelm Fink 2003.
  • Jürgen Fohrmann (Hg.): Gelehrte Kommunikation. Wissenschaft und Medium zwischen dem 16. und 20. Jahrhundert. Wien/Köln/Weimar: Böhlau 2005.

Spreu und Weizen

Seit einigen Jahren wächst die Zahl an Fachpublikationen exponenziell. Das scheint weniger mit einem Anwachsen an Forschungsprojekten oder einem gesteigerten Publikationsdrang von Akademikern zu tun zu haben, als vielmehr mit einer neuen Durchlässigkeit des Buchmarktes auch für nicht graduierte Schreiber. Es ist wahrscheinlich dem Internet zu verdanken, in dem praktisch jeder alles ohne die Hürde eines Lektorates überwinden zu müssen publizieren kann, dass die Buchpublikation heute nicht das definitive Qualitätskriterium für Forschungsergebnisse ist. In den Medienwissenschaften hat diese Veränderung zu teils positiven und teil negativen Resultaten geführt. So werden etwa an der Filmwissenschaft der Universität Mainz seit einigen Jahren studentische Schreibtalente entdeckt und ihnen die Möglichkeit gegeben, ihre Arbeiten in Sammelbänden zu publizieren. An der Universität Münster hat Siegfried Schmidt nun ein ähnliches Projekt gestartet und mit dem Sammelband „Medien und Emotionen“ die Ergebnisse eines zweisemestrigen kommunikationswissenschaftlichen Seminars im Lit-Verlag publiziert. Das Ergebnis bleibt leider unter der Messlatte (jener Publikationen aus Mainz). Die Texte weisen teils problematische Stilistiken auf, teils erscheinen den Autoren die Forschungsstände der behandelten Themen unbekannt zu sein (etwa den Horrorfilm-Artikel betreffend). Sicherlich bietet der eine oder andere Beitrag gerade in seiner Basalität noch einmal eine gelungene Zusammenfassung von bereits bekannten Diskussionen. Im Ganzen ist der Wert von „Medien und Emotionen“ – gerade im Zusammenhang mit der letztlich stark forcierten Beschäftigung mit Medien-Affekttheorien – jedoch fraglich.

Siegfried J. Schmidt (Hg.): Medien und Emotionen. Münster: Lit 2005. 433 Seiten (Paperback), 24,90 Euro. Bei Amazon kaufen.

(Stefan Höltgen)

Nachlassverwaltung

Der Tod Jacques Derridas im Jahr 2005 hat eine schmerzliche Lücke in die intellektuelle Sphäre Europas gerissen. Wie kaum ein anderer Kulturtheoretiker hat das Denken Derridas die Geisteswissenschaften der letzten 40 Jahre beeinflusst. Ein solcher Todesfall ist zumindest für die deutschsprachige Publizistik immer auch ein Anlass, die Archive zu aktualisieren, vergriffene Texte neu aufzulegen (teilweise neu zu übersetzen) und ältere, noch unveröffentlichte auf den Markt zu bringen. Es ist vor allem der Wiener Passagen-Verlag, der Derridas Werk in den vergangenen Jahrzehnten hierzulande bekannt gemacht hat. Ein Randphänomen des Derrida’schen Denkens, das aber vor allem in den Jahren vor seinem Tod bedeutsam geworden ist, ist seine Auseinandersetzung mit den audiovisuellen Medien. Eine deziderte Medientheorie liegt von ihm zwar nicht vor, wohl aber Interviews dazu. „Echographien“ ist die Transkription eines Gesprächs, das Derrida bereits 1993, im Schatten des zweiten Golfkrieges, mit Bernard Stiegler geführt hat. Dieses Gespräch, sowie sein fernsehphilosophischer Essay „Artefaktualitäten“ ist nun erstmals in deutscher Sprache erschienen. Die Überlegungen Derridas sind zwar nicht immer originell, ja oft sogar von einer überraschenden Trivialität, doch ist es vor allem das „Verfertigen der Gedanken beim Sprechen“, das diese beiden Texte interessant macht. Derrida begibt sich darin auf ein Feld, das er bislang kaum betreten hat, an dessen Rand er als Fremder verweilt hat (ersichtlich an seinen Film- und Fernsehauftritten) und tastet sich Schritt für Schritt darauf voran, indem er seine Überlegungen aus der Philosophie der Dekonstruktion auf dieses ihm neue intellektuelle Gebiet überträgt. Die Übersetzung Horst Brühmanns ist umsichtig (und soweit es notwendig ist, durch französische Originalausdrücke ergänzt) und um den Nachvollzug der Gedanken bemüht. Dankenswert auch, dass Passagen das Buch gleich als gebundene Ausgabe publiziert – was nicht zuletzt auch eine Würdigung und ein Hinweis auf die Wertigkeit seines Inhaltes darstellt.

Jacques Derrida/Bernard Stiegler: Echographien – Fernsehgespräche. Wien: Passagen 2006. 188 Seiten (gebunden), 28,00 Euro. Bei Amazon kaufen.

(Stefan Höltgen)

Nekromantik Revisited

Pünktlich zum 20-jährigen Jubiläum von Jörg Buttgereits Independend-Horrorfilm NEKROMANTIK erscheint im Berliner Martin-Schmitz-Verlag ein Taschenbuch, das gleich in mehrfacher Hinsicht bemerkenswert ist. Zum einen versammelt das Bändchen sechs persönliche Annäherungen verschiedenster Autoren, die zum einen die Bedeutung des Films für die deutsche Filmlandschaft vor 20 Jahren betonen, aber auch dessen Zeitlosigkeit unterstreichen. So schildert beispielsweise der in Fankreisen nicht unbekannte Gelsenkirchener Autor Christian Keßler in gewohnt launigem Stil seine lang dauernde Freundschaft mit dem Film (und den anderen Werken Buttgereits) und stellt eine kommentierte Filmografie auf. Auf eine ganz andere Weise nähert sich Buttgereit-Freund Marcus Stiglegger dem Sequel zu NEKROMANTIK, das er als eine Art Bild gewordene Zeitgeist-Studie der Stadt Berlin nach der Wiedervereinigung interpretiert. Oder Dietrich Kuhlbrodt, der sich – auch als Zensurexperte und -gegner – den vielen Tabubrüchen im Werk Buttgereits widmet.

Bemerkenswert ist zudem, dass das von Buttgereit mit selten zu sehenden Set-Fotografien vom NEKROMANTIK-Dreh garnierte Bändchen zweisprachig erschienen ist. Ab der Hälfte des Buches stehen die Buchstaben Kopf – man kann es anders herum lesen und bekommt die englischen Übersetzungen (oder im Falle von Linnie Blakes Essay über Buttgereits Film im Kontrast zum zeitgenössischen Horrorgenre: das Original) zu sehen; ebenfalls komplett durchillustriert, jedoch mit anderen Bildern und sogar einem eigenen Cover. Nachdem das filmische Gesamtwerk Buttgereits komplett auf DVD erhältlich ist und er seine Stoffe nun ans Theater bringt (in Berlin lief gerade sein „Captain Berlin vs. Hitler“-Bühnenstück an), wird die publizistische Aufbereitung des Œuvres angegangen. Die schön gestaltete Publikation aus dem Schmitz-Verlag ist ja vielleicht nur der Anfang.

Jörg Buttgereit (Hg): NEKROmantik. Berlin: Martin Schmitz Verlag 2007, 232 Seiten (Paperback), 17,80 Euro. Bei Amazon kaufen.

(Stefan Höltgen)

Filmtheorie als Kulturtheorie

Einführungen in die Filmtheorie gibt es, seit sich die Medienwissenschaften als Studienfach an deutschen Universitäten etabliert haben, zuhauf. Den meisten gemein ist ein technologischer und historischer Zugang zum Medium Film. So orientiert sich etwa Sigrid Lange in ihrer letztjährig erschienenen Einführung systematisch theorie- und filmgeschichtlich und eine der langlebigsten Einführungstexte, der Band von Thomas Kuchebuch, stetzt stark auf filmanalytische Kategorien zur Strukturierung seines Buchs. Ganz anders verfahren nun Thomas Elsaesser und Malte Hagener in ihrem Junius-Band „Filmtheorie zur Einführung“. Sie werfen an einzelnen Werken orientiert spezifische ästhetische Fragestellungen auf: Im Kapitel „Fenster und Rahmen“ diskutieren sie etwa anhand Hitchcocks „Rear Window“ Theorien der Perspektive und des Blicks, in „Tür und Leinwand“ problematisieren sie das Verhältnis von Filmraum und Zuschauerraum mithilfe von John Fords „The Searchers“ und führen quasi nebenher in poststrukturalistische Kulturtheorien ein und so weiter. Der Vorteil einer solchen Herangehensweise liegt klar auf der Hand: Die Einführung gewinnt an Geschmeidigkeit, verleitet zum Durchlesen (anstatt Nachschlagen) und vergrößert die Perspektive vom spezifisch Filmischen auf den kulturellen und medialen Kontext. Damit gelingt Elsaesser und Hagener etwas, was längst fällig in solchen Einführungen gewesen ist: Das Aufbrechen der Disziplingrenzen hin zu einer Filmwissenschaft als Kulturwissenschaft.

Thomas Elsaesser/Malte Hagener: Filmtheorie zur Einführung. Hamburg: Junius 2007, 250 Seiten (Paperback), 14,90 Euro. Bei Amazon kaufen.

(Stefan Höltgen)

Spur-Wissenschaften

Die Spur bildet spätestens seit Jacques Derridas Grammatologie ein zeichentheoretisches Paradigma in den Kulturwissenschaften. Jeder Signifikationsprozess produziert Spuren im Netz der Zeichen, die zuvorderst auf seine Unbestimmtheit verweisen. Von diesem neuen Verständnis des Begriffs Spur haben auch andere „Spur-Wissenschaften“ gezehrt, wie der von Sybille Krämer, Werner Kogge und Gernot Grube herausgegebene Sammelband „Spur – Spurenlesen als Orientierungstechnik und Wissenskunst“ bereits im Titel annehmen lässt. Die 15 darin enthaltenen Texte sind unter die Kategorien „Spuren, Indices, Zeichen: Grundsatzfragen“, „Metaphysik und Epistemologie der Spur“ sowie „Spurenlesen als Wissenskunst: Weiterungen und Revisionen des Indizierungsparadigmas“ gefasst. Bei den Autoren und ihren Texten der ersten beiden Teile handelt es sich in der Mehrzahl um Philosophen, die das Phänomen von einer sprach- und zeichentheoretischen Perspektive angehen, die Geschichte der Verwendung des Spurenbegriffs bei einzelnen Autoren ebenso nachzeichnen wie dessen Bedeutung für eine „investigative Erkenntnistheorie“. Der dritte Teil jedoch ist anwendungsbezogen, führt mit Texten wie dem von Carlo Ginzburg (über Paradigmenwechsel in der Geistesgeschichte), Wolfram Hogrebes (der das Problem einmal mehr auf sein Forschungsgebiet „Manitk“ überträgt) oder Jo Reicherts und Cornelius Holturfs (ersterer untersucht kriminalistische/kriminologische Spurbegriffe, letzerer perspektiviert die Archeologische Spurensuche) in eine anwendungsbezogene Spuren-Theorie. So wie die ersten beiden Teile dazu geeignet sind, die nunmehr 40-jährige Spurentheorie-Debatte zu bündeln, liefert der letzte Teil einige hochinteressante Ansätze für weiterführende kulturwissenschaftliche Anwendungen.

Sybille Krämer/Werner Kogge/Gernot Grube (Hgg.): Spur – Spurenlesen als Orientierungstechnik und Wissenskunst. Frankfurt am Main: Suhrkamp 2007, 366 Seiten (Paperback), 13,00 Euro. Bei Amazon kaufen.

(Stefan Höltgen)

Gewaltdarstellungsgewalt

Tagungsbände zur Gewalt in den Medien sind in der letzten Zeit nicht selten auf dem Buchmarkt zu finden. Beim Berliner Reimer-Verlag ist nun ein Sammelband zu einer Tagung aus dem Jahre 2004 der Universität Bamberg erschienen, die aus einem dortigen Forschungs-Colluquium mit dem Titel „Die Darstellung und Darstellbarkeit von Gewalt, Schrecken und Tod in den Künsten, Medien und Ethnien“ hervorgegangen ist. Warum die Publikation 3 Jahre gedauert hat (und warum das Vorwort des Buches nicht aktualisiert wurde, so dass darin Susan Sontag noch unter den Lebenden weilt), wird nicht begründet. Interessant sind die 15 Beiträge zu Film, Theater, Literatur, Fotografie, Bildenden Künsten und Musik allemal. Vor allem die zahlreichen Untersuchungen zu Gewaltphänomenen der Musik sind originell, z. B. Markus Jünglings Untersuchung der Scores von Oliver Stones „Platoon“ und Francis Ford Coppolas „Apocalypse Now“ oder Tim Beckers Analyse der „Neuen Musik“ Wolfgang Rihms, an dessen Werk „Deus Passus“ er eine musikalische Wundenstruktur exemplifiziert. Insgesamt zehn Texte widmen sich Musiken unter der Perspektive der Gewalt-Ästhetisierung. Damit stellt der Band ein Novum innerhalb des akademischen Diskurses zur Mediengewalt dar und kann trotz seiner langen „Latenzzeit“ guten Gewissens zur Erweiterung der Perspektive innerhalb der Debatte empfohlen werden.

Martin Zenck/Tim Becker/Raphael Woebs (Hgg.): Gewaltdarstellung und Darstellungsgewalt in den Künsten und Medien. Berlin: Reimer 2007, 312 Seiten (Paperback), 39,00 Euro. Bei Amazon kaufen.

(Stefan Höltgen)

F wie Foucault

Michel Foucault gehört zu den wichtigsten Geisteswissenschaftlern der Nachkriegszeit, ja man könnte behaupten, dass die Kulturwissenschaften, wie wir sie heute verstehen, ohne Foucaults diszilinenübergreifendes Forschungskonzept und ohne die durch ihn begründete Diskursanalyse kaum vorstellbar wären. Das wissenschaftliche Werk des französischen (Post)Strukturalisten zu ordnen, in Phasen einzuteilen und seine begrifflichen Konzepte zu bündeln haben in den letzten Jahren einige Einführungswerke zu erreichen versucht. Die Menge an von Foucault in den Diskurs gebrachten Begriffen rechtfertigt nun das Erscheinen eines Lexikons, in welchem diese wörterbuchartig definiert werden. Michael Ruoff hat sich dieser Arbeit angenommen und im Fink-Verlag das „Foucault-Lexkon“ veröffentlicht – wohlweislich in der UTB-Sektion des Verlages, denn solch ein Werk hat eine wichtige Funktion vor allem für Studierende. Da sich die Terminologie Foucault nun aber kaum (quasi a-historisch) eindeutig definieren lässt, schickt der Autor seiner alphabetischen Abarbeitung einen systematischen Überblick über die Hauptforschungsgegenstände Foucaults voran: Diskurstheorie, Machtanlyse, Selbstethik. Dieser Teil nimmt etwa ein viertel des Bandes ein und sorgt für ein notwendiges Grundverständnis der Vielfältigkeit und der vielfältigen Umbrüche im Denken Foucaults. Das „Foucault-Lexikon“ ist eine lobenswerte Veröffentlichung, die vor allem Einsteigern in die „neue französische Theorie“ zu einem wichtigen Nachschlagwerk werden könnte.

Michael Ruoff: Foucault-Lexikon. Paderborn: Fink 2007 (UTB), 242 Seiten (Paperback), 18,90 Euro. Bei Amazon kaufen.

(Stefan Höltgen)

Selbstreflexivität im Dokumentarfilm

„Neben dem Experimentalfilm stellt besonders der Dokumentarfilm traditionell die mediale Plattform dar, um sich mit der eigenen Filmsprache selbstreflexiv auseinander zu setzen“, schreibtF. T. Meyer im Vorwort zu seiner schon 2005 bei transcript veröffentlichten Dissertation „Filme über sich selbst“. Dieser Selbstreflexivität geht Meyer auf den Grund, stellt zunächst mit einem Blick in die Geschichte der Filmtheorie Kriterien für die ontologischen Beziehung zwischen Dokumentarfilm und „Wirklichkeit“ auf, erörtert seine Terminologie (die Begriffe „Selbstreferenzialität“ und „Selbstreflexivität“ werden durchaus nicht unisono verstanden) und untersucht schließlich die filmischen Arbeiten von Alexander Kluge, Dziga Vertov, Chris Marker und der Protagonisten des Cinéma Veritée bzw. direct cinema. Ziel ist es einerseits, die Filmsprache des Dokumentarischen zu untersuchen, wie sie im Wechsel mit Dokumentarfilmbewegungen und -philosophien entsteht und andererseits das Moment der Selbstreflexivität als ein spezifisches Ästhetikum der Postmoderne herauszustellen, das quasi im Selbstlauf zu immer abstrakteren Mitteln der Selbstentbergung dokumentarischer Authentisierungsprozesse führt. Meyer führt in seiner Dissertation damit zwei Problemfelder zusammen, die bislang nur in An- bzw- Aufsätzen (etwa dem Sammelband „Einübung des dokumentarischen Blicks„) problematisiert worden sind.

F. T. Meyer: Filme über sich selbst. Strategien der Selbstreflexion im dokumentarischen Film. Bielefeld: transcript 2005. 222 Seiten (Paperback), 25,80 Euro. Bei Amazon kaufen.

(Stefan Höltgen)

Vom Griechenland, opus magnum II.1

Friedrich Kittler ist nicht nur der bedeutendste und prominenteste Medientheoretiker Deutschlands, sondern er hat auch große Teile der Geistes- und Kulturwissenschaften zur Hardware und damit zum medialen Apriori unserer Kultur geführt. Als sein opus magnum kann dabei der Verbund seiner Habilitationsschrift Aufschreibesysteme 1800/1900 (1985) mit dem Folgeband Grammophon Film Typewriter (1986) gelten. Mit diesen Bänden führt er in einer eigenwilligen Lesart von Diskursanalyse und strukturaler Psychoanalyse vor allem die Literaturwissenschaft aus der Geisteswissenschaft in die Psycho- und Kriegsgeschichte der technischen Medien. Sind ihm auf diesen Weg einer Verknüpfung der Gutenberg- mit der Turing-Galaxis viele Literatur-, Kultur- und Medienwissenschaftler auch gefolgt, so hat Kittler inzwischen wieder Ort und Zeit gewechselt. Gestus und Perspektive auf seine Wissensgegenstände sind allerdings dieselben geblieben. Sein aktuelles Großprojekt heißt „Griechenland“. Dieses soll sich auf lange Sicht aber von Homer und den Vorsokratikern über die Geschichte der „Musik und Mathematik“ als den Grundpfeilern menschlichen Denkens, Könnens und Fühlens wieder zur Gegenwart vorarbeiten. Vorgesehen sind für diesen Plan eines zweiten, könnte man sagen, opus magnum vier Bände, die wiederum in Teilbände zerfallen: 1. Hellas (Aphrodite und Eros), 2. Roma Aeterna (Sexus und Virginitas), 3. Hesperien (Minne, Liebe und Sex) sowie 4. Turing-Galaxis und Heideggers Gestell. „Musiké“ und „mathesis“, das zweite noch in seiner voraristotelischen Bedeutung des Lehrens und Denkens im Allgemeinen, spannen dabei ein Wissen auf, das den Helden – wie Odysseus oder Pythagoras (der das „Verborgene entbirgt“ und den Begriff der „Philosophie“ prägt) – „in Fleisch und Blut“ übergeht: „Odysseus leidet und lernt.“ In den beiden Kapiteln „Musik“ (über die Odyssee und die Künste) und „Musik ruft Mathematik“ (über Pythagoras und die Pythagoreer) entfaltet Kittler dann auch – seinen heterogenen Bezugspunkten zwischen Mythologie und Medientheorie sowie Liebe und Sex angemessen – den Ursprung der abendländischen Kultur sehr komplex und mitunter etwas erratisch. Die Relektüre der Odyssee im ersten Teilband, der 2006 erschienen ist, gibt dabei allerdings Tenor und Ziel des Projekts vor. Denn es geht um alles. Es geht erstens um „uns“ und zweitens um den (mythohellenischen) Ursprung als Schlüssel zum Sein. Das heißt: Es geht um die „Wurzeln“ von Musik und Mathematik, die wiederum einen bedeutenden Teil an der Sinnlichkeit und Kreatürlichkeit des Menschen haben. Heldengeschichten (wie auch Kittlers Projekt), so könnte man abgekürzt sagen, berichten dabei vom dunklen Wissen, das aus Duldung und Leiden sowie aus Liebe und Sex gewonnen wird, und das zum Schluss selbst zum Gesang und damit zur Lüge wird: „Odysseus lügt und singt.“ Die entscheidenden Medien – besser: Musen – sind dabei wie selbstverständlich die Frauen: die Nymphen, Kirke, Kalypso und die Sirenen.

Friedrich Kittler: Musik und Mathematik. Band I: Hellas. Teil 1: Aphrodite. München: Wilhelm Fink 2006, 409 Seiten (gebunden), 39,90 Euro. Bei Amazon kaufen.

(Arno Meteling)

FAKten

Fakt ist, dass der deutsche Medientheoretiker, ehemals Literaturwissenschaftler, Friedrich A. Kittler, im Jahr 2003 sechzig Jahre alt geworden ist. Fakt ist auch, dass er für die Austreibung des Geistes aus den Geisteswissenschaften (1980) steht, für die Erschließung neuer Forschungsgebiete in den Kultur- und Medienwissenschaften, für eine neue Terminologie („Kittlerdeutsch“) und dass er vielleicht für die Bildung einer eigenen „Schule“ verantwortlich ist. Diese „Kittler-Schüler“ zeichnen sich vor allem dadurch aus, dass sie zwischen der Lyrik Hölderlins und der Epik von Thomas Pynchon Computersprachen lesen und beispielsweise darüber grübeln, wie entscheidend der Einsatz eines neuen elektrischen Rasierapparattyps im Ersten Weltkrieg gewesen ist. Die Festschrift „FAKtisch“ versammelt Beiträge von „ehemaligen Schülern, engen Mitarbeitern, Kollegen, […] Freunden und Weggefährten“ Kittlers. Selten war ein Vorwort so wahr wie in der Ankündigung, dass die Schrift die „stupende Vielseitigkeit des Kittlerschen Denkens, Wissens und Tuns“ widerspiegelt. Denn es geht in dreißig ungefähr zehnseitigen Aufsätzen unter anderem um Quellenforschung (Vismann), die weiße Seite in Kubricks The Shining (Macho), die Wabe (Berz), Zenon (Schäffner), um die „HistorioGraphie des Wissens“ in Koordinatensystemen (Dotzler), um Hitchcock (v. Herrmann), Speichermengen (Hörisch), den Stereosound in Neumanns The Fly (Siegert), um Mallarmé (Wolf Kittler), Hardware und Software (Coy), Herder und Kant (Schneider), Hegel und Lacan (Bitsch) und natürlich um „Aufschreibesysteme“ (Stingelin). Die Beiträge oszillieren dabei zwischen freundlicher Skepsis der Kittlerschen Theoreme, sachlicher Ausführung spezifisch Kittlerscher Wissensgegenstände und unverhohlen imitatorischer Fortschreibung des Meisterdiskurses. Ein Veröffentlichungsverzeichnis der Schriften Kittlers beschließt den Band. Abseits der fast durchgängig interessanten Analysen und auch der wenigen eher persönlichen Beiträge kommt der Leser nicht umhin, auch auf den tatsächlichen Einfluss von Jargon zu achten. Zuletzt hätte man dem Band ein Lektorat gewünscht, damit zum Beispiel die Seitenangaben im Inhaltsverzeichnis mit den Seiten im Buch übereinstimmen.

Peter Berz/Annette Bitsch/Bernhard Siegert (Hg.): FAKtisch. Festschrift zum 60. Geburtstag von Friedrich Kittler. München: Wilhelm Fink 2003, 374 Seiten (Paperback), 54,00 Euro. Bei Amazon kaufen.

(Arno Meteling)

Mediologie des Wissens

Zu den Projekten in der zweiten Phase des Kulturwissenschaftlichen Forschungskollegs „Medien und kulturelle Kommunikation“ (2002-2004) der Universitäten Aachen, Bonn und Köln gehörte die Erforschung „(gelehrte[r]) Wissenskulturen in ihrem medialen Wandel“. Geleistet werden sollte damit ein Beitrag zur „Geschichte unserer Intellektualität“. Die Leitfrage bestand vor allem darin, inwiefern die „mediale Situation“ und die „gesellschaftlichen Kommunikationsverhältnisse“ auf die Produktion und Zirkulation wissenschaftlicher Texte, mithin auf die Arbeitsweise und die Entstehung eines Archivs von Wissenschaft einwirken. Der vom Projektleiter Jürgen Fohrmann 2005 herausgegebene Band Gelehrte Kommunikation unternimmt als Ergebnis dieses Projekts in vier Großkapiteln die ehrgeizige Darstellung einer Mediologie des Wissens vom 16. bis zum 20. Jahrhundert: (1.) Leander Scholz und Andrea Schütte berichten unter dem Titel „’Heiliger Sokrates, bitte für uns!’ – Simulation und Buchruck“ (23-153) im Wesentlichen von der (rhetorischen) Kommunikation im Humanismus. Die entscheidende Zäsur ist dabei der Buchdruck, ein wichtiges Kriterium ist die Anschauung, das heißt: die Lesbarkeit der Texte. (2.) Hedwig Pompes Text „Zeitung/Kommunikation. Zur Rekonfiguration von Wissen“ (157-321) handelt von der Verschränkung von Publizität und Wissen in der Aufklärung. (3.) Fohrmann selbst schreibt unter dem Titel „Der Intellektuelle, die Zirkulation, die Wissenschaft und die Monumentalisierung“ (325-479) über die Nutzung von Medien im 19. Jahrhundert. (4.) Erhard Schüttpelz schließlich führt mit dem Kapitel „Von der Kommunikation zu den Medien/In Krieg und Frieden (1943-1960)“ (483-551) das Projekt in die Gegenwart und erläutert dabei die Bedeutung von Kybernetik und der Informationstheorie C.E. Shannons für die Wissensproduktion. Maßstab, Anlage und Volumen des Bandes sind sichtlich das Produkt von Großforschung. Eindrucksvoll sind dabei die – selbstverständlich diskutierbaren – historischen Dimensionen und Implikationen einer Erforschung des schlichten und nicht mehr unbekannten medientheoretischen Leitsatzes Marshall McLuhans, dass das Medium die Botschaft sei.

Jürgen Fohrmann (Hg.): Gelehrte Kommunikation. Wissenschaft und Medium zwischen dem 16. und 20. Jahrhundert. Wien/Köln/Weimar: Böhlau 2005, 600 Seiten (gebunden), 69,00 Euro. Bei Amazon kaufen.

(Arno Meteling)

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