Shoa

Sven Kramer (Hg.): Die Shoah im Bild, München: Edition text+kritik 2003

So wie die Frage der Repräsentierbarkeit des Holocaust letztlich die Gattungsdiskussion in den Künsten befördert hat (vgl. den ebenfalls bei text+kritik erschienenen Band Lachen über Hitler), so erweist sich die engere Frage nach seiner bildlichen Darstellbarkeit als theoretischer Fokus der Auseinandersetzung. Die Facetten der Problematik spannen sich zwischen den Polen des religiös-moralisch und künstlerisch motivierten Bilderverbots des Unfasslichen und des „Bildergebots“ als fotografisches Augen-Zeugnis der Verbrechen. Gleichzeitig können an den Modifikationen der gleichwohl stets medial präsent gewesenen „Shoah im Bild“ zeitliche Etappen der Erinnerungs- (und Verdrängungs-)Arbeit sichtbar werden.
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Lachen über Hitler

Margit Frölich/Hanno Levy/Heinz Steinert (Hgg.): Lachen über Hitler – Auschwitz-Gelächter?, München: Edition text + kritik 2003

Roberto Benignis großer Filmerfolg La Vita è bella (Das Leben ist schön, 1997) hat die lange Zeit als obsolet geltende und nur vereinzelt ernsthaft diskutierte Frage neu aufgeworfen und neu beantwortet: Kann – und darf – man den Holocaust im Modus des Komischen darstellen? Dass man kann und sich erlaubt zu dürfen hat vor Begnini etwa schon Art Spiegelman mit seinem per Genre respektlosen Comic Mouse gezeigt und wie Benigni ein breites Publikum erreicht. Inwiefern man kann und darf, ohne sich dem Verdikt der Blasphemie gegenüber dem Genozid auszusetzen, und was über seine defensive Zulassung hinaus das Komische bei diesem Thema zu leisten vermag, diskutierten nunmehr die Teilnehmer einer Tagung der Evangelischen Akademie Arnoldshain, des Fritz Bauer-Instituts und der Johann Wolfgang Goethe-Universität in Frankfurt am Main im April 2001. Die Ergebnisse stellt der Tagungsband zur Diskussion.
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Keine Medienwissenschaft aus der hohlen Hand

Die insitutionelle Kluft, die sich in den Geisteswissenschaften zwischen ästhetischen und empirischen Fragestellungen seit Langem abzeichnet, lässt sich an den Medienwissenschaften (vielleicht auch deshalb der Plural) besonders deutlich ablesen. Zwischen soziologisch/psychologisch/anthropologischen und ästhetisch/kunsthistorischen Ausrichtungen gab und gibt es an einigen Fakultäten regelrechte Kämpfe um die Existenzberechtigung. In der nicht-akademischen Öffentlichkeit scheinen diese Kämpfe bereits entschieden zu sein, bevor man sie überhaupt wahrgenommen hat: Medienwissenschaft(!) ist empirisch fundiert und reiht sich ein in den Kanon naturwissenschaftlicher Disziplinen, deren Relevanz im Gegensatz zu den Geisteswissenschaften ja noch nie angezweifelt wurde.

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The secret Life

Irgendetwas an der Biografie Jeffrey Dahmers muss sich filmischer Explikation sträuben. Zwei Versuche hat es bereits gegeben, das Leben und die Taten des zweitberüchtigtsten Serienmörders aus Wisconsin im Film aufzubereiten: Im Jahre 2002 erschien David Jacobsons Film „Dahmer“ und 8 Jahre zuvor David Bowens „The Secret Life: Jeffrey Dahmer“. Beide Filme ähneln sich darin, keine Thriller zu sein, die ein Monster inszenieren, das es dem Zuschauer leicht macht, gut und böse zu differenzieren. „The Secret Life“, der jetzt erstmals in Deutschland erschienen und zeigt eine zeitnahe Analyse der Fallgeschichte.

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Mediologie

Div.: Mediologie Band 1-10, Reihe im DuMont-Verlag 2001-2004

In den 1980er Jahren sind in den Geistes- und Kulturwissenschaften alte Theorieparadigmen umgestürzt und neue errichtet worden. Strukturale Psychoanalyse, Postmoderne, Poststrukturalismus, Diskursanalyse, Dekonstruktion, New Historicism und andere Theoriebewegungen haben das Denken und Schreiben der deutschen Geisteswissenschaften radikal verändert und erst die Kultur- und Medienwissenschaften ermöglicht, wie wir sie heute kennen. Zwei jüngere Theoriestränge sind dabei spezifisch deutsche Formationen, und erst seit kurzer Zeit wird deutlich, wie hoch ihr Einfluss auf das gesamte Spektrum von Philosophie, Soziologie, Literatur-, Film- und Medienwissenschaften ist.
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Antonioni

Paul Duncan (Hg.), Seymour Chatman: Michelangelo Antonioni – Sämtliche Filme, Köln: Taschen Verlag, 2004

Michelangelo Antonionis Filme sind dafür bekannt, unseren Begriff von der Realität auszuloten, ihm analytisch zu begegnen, seine Schwachpunkte aufzuzeigen und den Zuschauer mit einem Gefühl der Leere zurückzulassen. Wie seine Figuren oft keine Vorgeschichte haben (zumindest keine, die näher erläutert würde), treten sie oft auch als Fremdgebliebene wieder aus dem Film, wenn sie nicht gleich, wie der namenlose Fotograf aus Blowup (1966) – Antonionis meisterlicher Meditation über das Wesen der Fotografie und deren Verhältnis zur äußerlichen Wirklichkeit – im Filmbild noch verblassen und verschwinden oder aber den Film frühzeitig verlassen, wie etwa das Paar in Liebe 62 (1962), das sich verabredet, diese Verabredung aber – wie das Schlussbild des Films, der menschenleere Treffpunkt, verrät – beidseitig nicht einhält. Der Mensch verblasst bei Antonioni, bleibt kaum durchdringbare, äußere Hülle, wird in einem Prozess der steten Ästhetisierung eins mit der die Filme bestimmenden Architektur und wandelt wie im Traum durch eine Genrewelt, deren an sich hermetischer Charakter an allen Ecken und Enden zugunsten einer prinzipiellen Sinnoffenheit aufgebrochen wurde. Kein Zweifel: Antonioni ist es um den Bruch mit der Tradition zu tun – sei es die filmische, oder aber die gesellschaftlicher Normen – , er ist der Meister der Moderne im Film, ihr Herold und Anwalt in Personalunion, der in seinen besten Momenten Bahnbrechendes für das Verständnis von Film und seine Sprache geleistet hat. Genau dieser Umstand war es, der die Jury von Cannes seinerzeit dazu veranlasste, Antonioni 1962 für Die mit der Liebe spielen mit einem Spezialpreis „für seinen bemerkenswerten Beitrag zur Suche nach einer neuen Sprache des Kinos“ auszuzeichnen, nachdem 37 Künstler und Schriftsteller sich in einem offenen Brief positiv auf den während seiner Vorführung lautstark ausgebuhten Film bezogen.
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Abenteuerfilm

„Eines der größten und eines der beliebtesten Genres der Filmgeschichte ist zugleich eines der unbekanntesten“, beginnt Hans-Jürgen Wulff die Einführung zum vierten Band der Genre-Reihe des Reclam-Verlages. Er meint damit den Abenteuerfilm und führt in seiner umfangreichen Einleitung nicht nur aus, warum der Abenteuerfilm so unbekannt ist, sondern auch, warum das Genre so umfangreich ist. Das liegt unter anderem daran, dass „Abenteuer“ eine nicht nur weitverbreitete sondern auch weitauslegbare Erzählstruktur im Film ist. „Abenteuer“ kann mithin alles genannt werden, was dem Filmhelden Anlass bietet, aus dem gewohnten Habitus aus-/aufzubrechen ins Unbekannte. Das, was sich nach dem Aufbruch ereignet, ist variantenreich von Anbeginn der Filmgeschichte bis zu den jüngsten Hollywood-Filmen a la „Fluch der Karibik“ immer wieder erzählt worden.

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Dawn of the Dead2

1978 war die Welt noch „in Ordnung“: Es gab zwei gut gegeneinander abgrenzbare politische Ideologien. Es gab noch eine florierende Wirtschaft, die ihre Waren (zumindest in einem der beiden Systeme) für alle zugänglich anbot; alles war käuflich und nichts schien mehr einen Wert zu haben, der nicht auch fiskalisch benennbar war. Der Kapitalismus jener Tage war kein Schimpfwort, sondern ein Glaubenssystem. Es gab noch Überblick und Langsamkeit: Man konnte alle wesentlichen Neuigkeiten noch einer einzigen Nachrichtensendung entnehmen und war danach total-informiert. Und dann gab es noch ein noch längst nicht verblasstes Bild vom Krieg, von den Genoziden, von der Treibjagd auf Menschen und dem Überlegenheitsdenken einer „Rasse“. 1978 gab es noch allgegenwärtige „Motive“ für Horrorfilme mit einer klaren Message.

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White Skin

„Ich mag keine Rothaarigen, mit ihrer blassen Haut, unter der die Adern blau durchscheinen. Das macht mir Angst“, gibt Thierry zu Beginn des Films zum Besten. Und doch verfällt er kurz darauf Claire, einer anämischen Schönheit mit schneeweißem Gesicht und hexenhaft rotem Haar.
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Me evil – You good?

Als 1992 der belgische Film „Mann beißt Hund“ in die Kinos kam, schien es so, dass der authentisierte Serienmörderfilm damit seinen Höhepunkt erreicht hatte. Getarnt als Dokumentarfilm über einen Berufskiller, der den Filmemachern Einblick in seine Arbeit verschaffen will, reizte „Mann beißt Hund“ alle Simulationsästhetiken voll aus. Die schwarz-weißen Bilder, die scheinbare Zufälligkeit und Inkohärenz der Szenen, die mise-en-abyme, mit der Kamera, Filmteam und selbst Filmfehler immer wieder mitinszeniert wurden, vermittelten den Eindruck absoluten Dokumentarismus. „Mann beißt Hund“ war als hyperrealistischer Serienmörderfilm gleichzeitig eine Kritik an den Medien, die solche Stoffe auf immer reißerische und realistischere Weise inszenierten und sich damit selbst „schuldig“ machten.
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Geld stinkt nicht!

Los Angeles ist eine geteilte Stadt. In ihrer Mitte ragt ein Gebirgszug und bildet die physische Grenze zwischen L.A. und dem San Fernando Valley, der Vorstadt, dem „L.A. für Arme“, wie es von den Angelinos gerne genannt wird. Auch wenn es im Valley mittlerweile Viertel gibt, die mit ihren Prachtvillen und Quadratmeterpreisen Beverly Hills Konkurrenz machen, hat die Gegend den Beigeschmack der Spießbürgerlichkeit bis heute nicht verloren. Und – um ehrlich zu sein – je tiefer man ins Valley vordringt und sich von der bergigen Grenze, auf deren Scheitel sich der berühmte Mullholland Drive entlang schlängelt, entfernt, desto mehr scheint dieser Vorwurf auch berechtigt: Zum größten Teil winzige, meist aus Holz gebaute Flachbauten reihen sich hier aneinander wie Perlen an einer Kette. Dazwischen gequetscht die obligatorische Garage, in der der noch nicht abbezahlte japanische Mittelklassewagen parkt. Und über allem wabert im Sommer eine unmenschlich drückende Hitze, der die blechernen, aus den Fenstern ragenden Klimaanlagen verzweifelt surrend Herr zu werden suchen. In dieser Idylle amerikanischen Vorstadtmiefs spielt Barry Levinsons jüngste Komödie „Neid“.
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Open Water

Filme wie John Sturges „The old Man and the Sea“ oder Philip Noyces „Dead Calm“ haben es vorgemacht: Es ist möglich einen Film über Menschen auf dem offenen Meer zu drehen, der trotz des eintönigen Ambientes spannend sein kann. Ihr Spannungspotenzial beziehen diese Filme aus den sich durch die Einöde entwickelnden menschlichen Konflikten („Dead Calm“) oder aus dem Konflikt mit dem Unwirtlichkeiten der Einöde selbst („The old Man …“). Chris Kentis zweiter Spielfilm „Open Water“ versucht beides zu kombinieren … und geht damit – man entschuldige den Kalauer! – baden.

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Rückblende

Manche Filme ermöglichen gerade dadurch, dass sie in Erzählung und Ausführung recht bieder sind, interessante Überlegungen über das Phänomen Film an ihnen anzustellen. Solche Überlegungen bewerten den Film dann zwar nicht mehr als ästhetisches Artefakt, zeigen aber immerhin, dass eigentlich kein Film so schlecht ist, als das man nicht noch etwas von ihm lernen könnte. Von dieser Binsenweisheit hat neben den eher unterschlagenen, weil als „künsterlisch geringerwertigen“ Genre- und Billigproduktionen auch der Hollywood-Blockbuster gezehrt, dessen Ästhetiken oft wie Fingerübungen debüttierender Regisseure aussehen, an denen sich das auf der Filmschule gelernte manchmal recht offensichtlich widerspiegelt.

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Cannibalo Normale

Dass ein Tabuthema wie der Kannibalismus endgültig in die Jagdgründe der Alltagskultur eingegangen ist, zeigt sich nicht zuletzt daran, dass es seine Selbstreflexivität im Bauchladen vor sich herträgt. Kommt ein Kannibalenfilm dann noch in TV-Ästhetik daher, kann man sich nahezu sicher sein, dass der Horrorfilm den Fernsehalltag oder besser -allabend um ein weiteres Motiv beerbt hat. John Hancocks 2001 gedrehter Film „Suspended Animation, der auf dem Fantasy Filmfest unter dem Titel „Mayhem“ lief, scheint diesen Weg konsequent zu beschreiten.

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Verdrehte Claude

Die multiple Persönlichkeitsstörung oder auch „Dissioziative Identitätsstörung“ ist eine der umstrittensten psychiatrischen Diagnosen: In den 1970er Jahren erstmals diagnostiziert, beschreibt sie einen Zustand, in dem sich eine Person in mehrere unterschiedliche Persönlichkeiten/Identitäten aufspaltet. In der Kulturgeschichte hingegen ist die Multiple Persönlichkeit schon immer recht beliebt gewesen. Zahlreiche Stoffe der Literatur und des Films basieren auf der Idee, die in Victor Flemings „Dr. Jeckyll und Mr. Hyde“ sicherlich mit dem größten Erfolg adaptiert wurde.
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Auch „Kult“ kommt von „können“

1964 drehte Herschell Gordon Lewis mit „2000 Maniacs“ die erste Splatter-Komödie der Filmgechichte: Vier junge Leute gelangen durch den hinterhältigen Plan revanchistischer Südstaatler in ein Zweitausendseelenkaff, in dem sie freundliche empfangen, aber unfreundlich als Höhepunkt eines Festes grausam getötet werden. Begleitet werden die stattfindenden Blutorgien von der freundlichen Südstaatensonne, leensfroher Banjo-Musik und einem hochgradigen Mangel der Unterscheidungsfähigkeit von Normalität und Wahnsinn, der in dem Ort grassiert. Heute, genau 40 Jahre später, inszeniert Matthew Leutwyler den nahezu selben Stoff noch einmal. Nun sind es sechs Teenager, die in die Fänge eines mysteriösen Zolmbie-Kultes geraten. In „Dead and Breakfast“ kommt es schließlich auch zur Blutorgie, als der gesamte zombifizierte Ort auf die durchaus wehrhaften Jugendlichen trifft.

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„This is no vengeance, this is punishment!“

The Punisher, USA 2004, Jonathan Hensleigh

Mit The Punisher kehrt das US-Actionkino zu einzigartiger Güte zurück. Action, das bedeutet Bewegung, Actionkino, das bedeutet: Das Spektakel auf der Leinwand entspricht dem Spektakel vor der Kameralinse. The Punisher nimmt das beim Wort: Autoachsen werden klanggewaltig überbelastet, Fahrzeuge werden nach allen Regeln der Kunst demoliert, was explodiert, ist danach auch jenseits des Films nurmehr schrottplatzreif: Von der Unverbindlichkeit computergenerierter Pixel, die sich gegenseitig neutralisieren, fehlt jede Spur. The Punisher ist Kino der Physis – und dabei nach Dutzenden von leblosen Actiongames-Filmen ein Labsaal für die Seele. Denn trotz aller Anachronismen in der Inszenierung (oder besser: trotz seines Aufgriffs anachronistischer Verfahren, die er aber zeitgemäß einzusetzen weiß) macht The Punisher auch unverhohlen Spaß: Jungskino der schönen Sorte.
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