Paul Duncan (Hg.), Seymour Chatman: Michelangelo Antonioni – Sämtliche Filme, Köln: Taschen Verlag, 2004
Michelangelo Antonionis Filme sind dafür bekannt, unseren Begriff von der Realität auszuloten, ihm analytisch zu begegnen, seine Schwachpunkte aufzuzeigen und den Zuschauer mit einem Gefühl der Leere zurückzulassen. Wie seine Figuren oft keine Vorgeschichte haben (zumindest keine, die näher erläutert würde), treten sie oft auch als Fremdgebliebene wieder aus dem Film, wenn sie nicht gleich, wie der namenlose Fotograf aus Blowup (1966) – Antonionis meisterlicher Meditation über das Wesen der Fotografie und deren Verhältnis zur äußerlichen Wirklichkeit – im Filmbild noch verblassen und verschwinden oder aber den Film frühzeitig verlassen, wie etwa das Paar in Liebe 62 (1962), das sich verabredet, diese Verabredung aber – wie das Schlussbild des Films, der menschenleere Treffpunkt, verrät – beidseitig nicht einhält. Der Mensch verblasst bei Antonioni, bleibt kaum durchdringbare, äußere Hülle, wird in einem Prozess der steten Ästhetisierung eins mit der die Filme bestimmenden Architektur und wandelt wie im Traum durch eine Genrewelt, deren an sich hermetischer Charakter an allen Ecken und Enden zugunsten einer prinzipiellen Sinnoffenheit aufgebrochen wurde. Kein Zweifel: Antonioni ist es um den Bruch mit der Tradition zu tun – sei es die filmische, oder aber die gesellschaftlicher Normen – , er ist der Meister der Moderne im Film, ihr Herold und Anwalt in Personalunion, der in seinen besten Momenten Bahnbrechendes für das Verständnis von Film und seine Sprache geleistet hat. Genau dieser Umstand war es, der die Jury von Cannes seinerzeit dazu veranlasste, Antonioni 1962 für Die mit der Liebe spielen mit einem Spezialpreis „für seinen bemerkenswerten Beitrag zur Suche nach einer neuen Sprache des Kinos“ auszuzeichnen, nachdem 37 Künstler und Schriftsteller sich in einem offenen Brief positiv auf den während seiner Vorführung lautstark ausgebuhten Film bezogen.
„Antonioni“ weiterlesen