White America!
I could be one of your kids
White America!
Little Eric looks just like this
White America!
Erica loves my shit
I go to TRL, look how many hugs I get
(»White America«)2 trailer park girls go round the outside/ round the outside, round the outside
(»Without Me«)
1. American Badass: White Trash U.S.A.
Vielleicht sind Eminem, Bubba Sparxx, Kid Rock und Everlast amerikanischer als George Washington, die Stars and Stripes und die Statue of Liberty. Wir sehen sie im Kino, im Fernsehen, in Magazinen, auf Postern, vor allem sehen und hören wir sie auf den Musikkanälen. Sie haben die Popkultur um eine (weitere) vulgäre und provo-kative Note bereichert und bringen – zumeist um einige deutliche Fachausdrücke ih-rer Sprache beraubt (»Bleep!«) – ihre Redneck- oder Ghetto-Streetwise-Lebensphilosophien unter das Publikum. Sie sind neben all den Glamourfiguren eine andere Variante der aktuellen Stars der Popkultur, die Kehrseiten-Idole für die ju-gendlichen Massen. Sie kommen – oder zumindest suggerieren ihre medialen Insze-nierungen das – aus dem Ghetto, den Suburbs oder direkt aus dem Trailerpark, und sie zeigen die amerikanische Erfolgsgeschichte der Erfolglosen. Bei allem Spiel mit Versatzstücken aus Ritualen und Rhetorik, wie sie aus den medialen Repräsentatio-nen schwarzer Rap-Kultur bekannt sind, bleiben sie doch immer eins: Sie sind weiß. Aber sie sind die Vertreter einer anderen »Whiteness«: eben weiß, ausgegrenzt und verachtet. Im Land des strengen Pursuit of Happiness sind sie diejenigen, die den Schritt auf die Aufstiegsleiter nicht geschafft haben und am Boden liegen geblieben sind – sie sind der White Trash. Aber was heißt das eigentlich, aus welchem Bild- und Wertereservoir schöpft die mediale Repräsentation von White Trash?
White Trash meint den weißen »Abschaum« der amerikanischen Gesellschaft, den Teil der Bevölkerung, der den American Dream nie geschafft, nie wirklich mitgemacht hat und der auf der untersten Sprosse der sozialen Leiter stehen geblieben ist. White Trash ist die Stimme Amerikas, der im vielstimmigen Kanon der öffentlichen Meinun-gen niemals jemand Gehör geschenkt hat, und es ist der Teil Amerikas, der sich im-mer erst um das Fressen und dann um die Moral kümmern musste. Weil der White Trash seiner Regierung zutiefst misstraut und sein Kopf voller Verschwörungstheori-en steckt, ist er immer genau derjenige, der den populistischsten Rechtsaußen-Politiker wählt, damit im Augiasstall von Washington endlich einmal aufgeräumt wird. Oder er geht gleich in die nächste paramilitärische Miliz, die sicher von einem ande-ren Redneck angeführt wird, um das Heartland of America gegen die UNO-Landungstruppen oder immer noch gegen die Kommunisten verteidigen zu können. Der White Trash ist das bizarre Abziehbild des Idealtypus’ des Amerikaners, des Whi-te Anglosaxon Protestant (WASP). Wie der WASP des White America hasst oder zu-mindest misstraut er allem, was anders ist als er. Zu den »anderen« gehören Schwu-le, Neger und Juden. Er weiß, welche Rolle die Frau in der Gesellschaft und in der Familie zu spielen hat. Und er sagt es inzwischen immer lauter. Aber wie die von ihm verhassten anderen gesellschaftlichen Gruppierungen kommt auch er nicht in die Country Clubs und zu den Swimming Pool-Parties derer, die es geschafft haben. Er hat nicht teil am Erfolg Amerikas.
In seiner als Gesamtkunstwerk konzipieren Filmreihe »Die amerikanische Popkultur in Bild und Wort, aus der Sicht eines Pubertierenden« (Moon 44, D 1989, Universal Sol-dier, US 1992, Stargate US 1994, Godzilla, US 1998, The Patriot, US 2000) sticht Ro-land Emmerichs Independence Day (US 1996) als der bis jetzt erfolgreichste Beitrag hervor. Denn Independence Day klappert oberflächlich demokratisch alle Klassen und Rassen der multikulturellen USA ab und ebnet ihre sozialen und kulturellen Differen-zen ein (vergleichbar den ebenso demokratischen außerirdischen Invasoren), da sich aus ihnen die Retter der Erde gegen die wirklich Fremden rekrutieren müssen. Und es ist der amerikanische White Trash in der Gestalt eines ewig betrunkenen Vietnam-Veteranen und Ex-Piloten der amerikanischen Luftwaffe, der geopfert werden muss, damit die Welt, wie wir sie kennen, gerettet wird. Ausgestattet mit Kindern, die dazu selbstverständlich ihre eigenen schwerwiegenden Teenager-Probleme haben, einem Wohnwagen in einem Trailerpark und der Fixierung auf eine ehemalige Entführung durch Aliens, die mit ihm experimentiert haben, erfüllt die Figur alle Ansprüche an eine Karikatur des White Trash. Die gebührende Anerkennung erhält der Pilot erst im Opfertod für seine Regierung – da er Ladehemmung hat, muss er mit seiner Rakete direkt in das Raumschiff der Außerirdischen hinein fliegen – und sein Sohn, der sich zeitlebens für seinen Vater schämen musste, kann nach den tröstenden patriotischen Worten über die Tapferkeit seines Veteranenvaters damit aufhören. Währenddessen rettet im Rampenlicht der Öffentlichkeit der WASP-Veteranen-Präsident der USA die Erde in Bodenhöhe, und zugleich fliegt die afroamerikanisch-jüdische Verschwörung in Gestalt der All-American-Schauspieler Jeff Goldblum und Will Smith ins All, um dort den Fremden den Garaus zu machen. Die demokratische Vogelperspektive von Inde-pendence Day auf das amerikanische Volk lässt also auch – wie im richtigen Leben – den American Dream nur überleben auf Kosten des White Trash.
In Tim Burtons zeitgleich erscheinenden Invasionsfilm Mars Attacks! (US 1996) tau-chen viele motivische Parallelen zu Independence Day auf, die aber von vornherein das Pop-Comic-Format der USA repräsentieren. Mars Attacks! zeigt das satirische und damit hyperbolisch funktionierende Abziehbild der amerikanischen Kultur. Wiederum kommt der Invasions- oder Katastrophenfilm nicht um die notwendig produktive kul-turelle Durchmischung aller sozialen Stände herum: alle müssen an der Rettung des American Way of Life teilhaben. Der Film muss deswegen zunächst alle sozialen und kulturellen Nischen der USA anschneiden – von der Präsidentenfamilie im Weißen Haus bis zur Familie im Trailerpark. Mars Attacks! weist dabei die gleiche Trailerpark-Familienkonstellation wie Independence Day auf und zeigt, dass der White Trash durchaus mit Gewehr und genügend Mut bewaffnet ist, sein Vaterland gegen jeden Alien (Ausländer) zu verteidigen, leider aber weder die nötige Intelligenz noch die Vorsicht besitzt, dies auch vernünftig umzusetzen: So wird die Militanz des White Trash binnen Sekunden von den Marsianern, die für den satirischen Blick auf die USA sorgen, mit der bunten Plastikspielzeugwaffe in ein Häufchen Asche verwandelt. Es ist in Burtons Film allerdings der Musikgeschmack der Trailerpark-Bewohner, der letztlich die Welt wie wir sie kennen, rettet: Mit Countrymusik bewaffnet fahren die Überlebenden des White Trash, der jüngere Sohn und seine Großmutter, durchs Land und bringen den Marsianern die wahren kulturellen Schätze Amerikas nahe – bis deren Köpfe platzen. So viel White Trash hält keiner aus.
Es ist nicht erstaunlich, dass auch gerade das Genre des höchst medienreflexiven Serial Killer-Films den White Trash für sich entdeckt hat: Oliver Stones Natural Born Killers (US 1995) zeigt die zugleich ins Mythische überhöhte und zutiefst profane Odyssee eines White Trash-Serial Killer-Pärchens durch ein Alptraum-Amerika. Das Pärchen gerät durch die Willkür des Mordens, die den Frust und die Wut an der eige-nen Familie, an der Gesellschaft und an sich selbst ausdrückt, zu Medienstartum. In ähnlicher Mission, wenn auch weniger multimedial unterwegs ist Dominic Senas Kali-fornia (US 1993). In diesem Film begleitet wiederum ein White Trash- und Trailer-park-Pärchen (diesmal ist nur Early, der männliche Part, der Killer) ein Upper Middle Class-Pärchen, das mit der Reise eine Buchreportage über das Phänomen des Serial Killing verfassen möchte. Der ganze Frust und der Minderwertigkeitskomplex des ohnmächtigen White Trash, der ohne öffentliche Stimme auskommen muss, entlädt sich in Kalifornia im Rahmen der Figur des serienmordenden Early, der zum Schluss für sein Begehren an der Frau der anderen Gesellschaftsschicht bestraft werden muss. Im Hollywoodkino ist der White Trash also immer noch auf verlorenen Posten. Genau wie im Fernsehen: Selbst die Fernsehfamilie The Simpsons kann als mehr oder weniger erfolgreiche und durchschnittliche Mittelstandsfamilie gefeiert werden, denn der White Trash in Gestalt von Cletus oder Nelson fristet ein Randdasein in der virtuell-amerikanischen Durchschnittstadt Springfield, und ersterer läuft allenfalls im Zusammenhang einer Nummernshow an Redneck- und Außenseiter-Witzen dort auf. Die präziseste Verdichtung dessen, was die kulturelle Repräsentation des White Trash ausmacht, findet sich allerdings in der Folge 3/10: Chinpokomon der Serie South Park in der Barbie-/Big Jim-Actionfigur »Alabama Man«, die den Kindern, um ihnen die japanischen Chinpokomon-Spielzeuge abspenstig zu machen, in einem Werbespot vorgeführt wird. »Alabama Man« ist der Traum des amerikanischen White Trash-Mannes: Ausgerüstet mit einem karierten Flanellhemd, einer Bowlingkugel und einem Bier können die Kinder mit dieser Actionfigur spielen, wie »Alabama Man« sei-ne schlampige Frau verprügelt und ihr zeigt, welche Rolle sie in der amerikanischen Kleinfamilie zu spielen hat.
Der Begriff des White Trash ist wahrscheinlich von den schwarzen Sklaven im frühen 19. Jahrhundert für die weißen Tagelöhner geprägt worden. In Margaret Mitchells Hausfrauenroman Gone With the Wind (USA 1939) bilden sie noch einmal deutlich die bösartige und parasitäre weiße Randexistenz, die die guten weißen Plantagenbe-sitzer aus dem Süden mit ihren gutmütigen schwarzen Sklaven auf mehreren Ebenen bedrohen. Scarlett O’Hara wird mehrfach persönlich von ihnen in Gestalt ihres ehe-maligen bösen Sklavenaufsehers bedroht. Der Gentleman-Kriegsgewinnler und Bloc-kadebrecher des Bürgerkriegs Rhett Butler muss einige Male die Übergriffe der White Trash-Kriegsgewinnler auf Scarlett abwehren, und letztlich stirbt auch Scarletts Mut-ter an Typhus, den sie sich bei der mildtätigen Versorgung einer White Trash-Familie zuzieht. Der White Trash bildete wohl auch das Gegenstück zum schwarzen Sklaven im Rassendiskurs des 19. und auch noch im 20. Jahrhundert. Man versuchte, ihre Armut genetisch mit Erbschäden zu erklären, die durch Inzucht entstanden seien. Diese Stereotype von Inzest, Bösartigkeit, Grausamkeit und Perversion sind immer noch das standardisierte Bildrepertoire für den White Trash. Da leistet John Boor-mans Deliverance (US 1971) für den Mittleren Westen, was Walter Hills späte Viet-nam-Reaktion Southern Comfort (US 1981) für die Cajuns in Florida und Tobe Hoo-pers The Texas Chainsaw Massacre (US 1974) und Wes Cravens The Hills Have Eyes (US 1977) für den tiefen Süden darstellen. Sie zeigen moralisch und körperlich dege-nerierte und aggressive Wildnisbewohner, die zur primitiven Gefahr für den inzwi-schen zivilisierten, dem Wald und der Prärie entwachsenen Amerikaner geworden sind. Man denke bei Deliverance zum Beispiel an den Banjo spielenden schwachsin-nigen Jungen mit Hasenscharte und Down-Syndrom, der in seiner Latzhose das bi-zarre White Trash-Gegenbild zu Tom Sawyer und Huckleberry Finn liefert, oder an die seltene Vergewaltigung eines Mannes im Hollywoodfilm, die wie selbstverständ-lich nur von einem Redneck-Hinterwäldler begangen worden sein kann, der zum wil-den Tier degeneriert ist und gerade vom Schwarzbrennen aus dem Wald kommt. Aber White Trash sind nicht nur die Hollywood-Hinterwäldler aus dem Süden oder dem Mittleren Westen, sondern White Trash gilt ebenso für die Bewohner bestimm-ter Straßenviertel und ghettoisierter Zonen in den Städten und am deutlichsten für die Bewohner der Trailerparks. Es stellt sich deshalb die Frage, ob man es bei dieser uneinheitlichen und verstreuten Gruppe mit einer Klasse im Sinne von Karl Marx oder Pierre Bourdieu zu tun hat, mit einer sozial, geographisch oder kulturell distinkten Gruppe, oder ob es inzwischen allein um das Zeichensystem einer kulturellen Reprä-sentation geht, das man White Trash bezeichnen kann. Man könnte sogar vermuten, dass es das wesentliche Merkmal des White Trash ist, eben keine unterdrückte Klas-se und schon gar keine rassische Minderheit zu repräsentieren. Denn solch eine Klas-se oder Gruppe forderte in irgendeiner Form Solidarität heraus. Stattdessen stigmati-siert White Trash jeden einzelnen oder besser jede einzelne Familie, und ein mögli-cher Vergleichspunkt dieses nicht zur Vereinigung zu bringenden amerikanischen Proletariats ist allenfalls ein ökonomischer, der in eine soziale Stigmatisierung um-schlägt. Mit dem Gedanken, als Verlierer in einer Gesellschaft von Gewinnern bezie-hungsweise in einer Gesellschaft, die den Erfolg am ökonomischen Erfolg misst, ge-boren zu sein, muss deshalb jeder selbst zurecht kommen. Nur aus diesem kollekti-ven Minderwertigkeitskomplex ohne den Trost einer Gemeinschafts- und Identitäts-stiftung, wie ihn zum Beispiel in der Black Community die Black Power-Bewegung oder auch die Hip Hop-Szene anbieten, lassen sich vielleicht die öffentlich geworde-nen und inzwischen medial vermarkteten Wutausbrüche erklären. Zum Konzept der Klasse oder der homogenen Massen passen sie vielleicht deshalb nur in der Hinsicht, dass sie die Verachtung der Massen spüren, ohne deren Zusammenhalt und Homo-genität zu erfahren. Sie repräsentieren somit die dunkle und gefährliche Seite der gemütlich-witzigen Bundys in Married With Children oder der Familie um die honest and hard working woman Roseanne, die doch ebenfalls nur die Werte und den Zu-sammenhalt der Kleinfamilie feiern, ohne eine Veränderung, einen Aufstieg aus der quasiständischen Gesellschaft in Aussicht zu haben. Die »kleinen Leute« der ameri-kanischen Sitcom sind in einer gesellschaftlichen Unendlichkeitsschleife gefangen, aus der sie nur mit Witz und Selbstironie entkommen können. Aber selbst ihre Lacher sind nur vom Band.
2. White Trash Megaphon
Oder ist jede Form einer Repräsentation von White Trash von vornherein eine Karika-tur? Festzustehen scheint, dass selbst, wenn es europäische Pendants zu geben scheint, der White Trash vornehmlich eine amerikanische Produktion – und vielleicht auch nur der amerikanischen Medien – ist. Der White Trash hat auf jeden Fall unbe-dingt mit dem amerikanischen Selbstbild zu tun, mit der Providence, dem Pionierge-danken und dem American Dream. In einer Kulturdiskussion, in der das Verworfene und Abgestoßene, das »Abjekt« im Sprachgebrauch der Psychoanalytikerin und Se-miologin Julia Kristeva, jüngst zu unerwarteten Ehren kommt, und in der das Margi-nale und die Differenz gefeiert werden, müssen die altmodisch gewordenen Rand-gruppen wie Frauen, Schwarze oder Homosexuelle der neuen Randgruppe, die nie als solche direkt thematisiert wurde, weichen:
Es sind die Angry Young Men der Unterschicht, die ihren Frust und ihren Hass in die Welt hinaus brüllen und vor allem -rappen. Während der White Trash im Hollywood-film und in der amerikanischen Fernsehserie also immer noch dem gestrigen Image des ewigen Verlierers nachhängt, der den Anschluss an den American Dream ver-passt hat, sieht es im Rest der Popular Culture ganz anders aus: Geschafft hat es der White Trash vor allem in der Welt der Popmusik. Dort haben sie es ihren schwarzen Vorbildern nachgemacht, sich ihre Codes angeeignet, ihr Selbstbewusstsein und ihre Eitelkeit zu eigen gemacht. In einer inversiven Bewegung wird das Stigma der Erfolg-losigkeit zum Erfolgsfaktor. White Trash macht Rap (Eminem, Everlast, Bubba Sparxx, Kid Rock) und turnt pöbelnd auf allen Bildschirmen herum. Die White Trash-Queen Pamela Anderson wechselt vom Rocker Bill Lee zum Rapper Kid Rock. Der Sound des White Trash ändert sich und gewinnt dadurch an Stimme. So meldet sich spätestens seit den späten 90er Jahren der White Trash musikalisch als jugendliche Reaktion zu Wort, nachdem er jahrzehntelang im patriotisch-dumpfen nostalgischen Bann von Fließband-Country im Zuschnitt eines Garth Brooks gestanden hat. Mit die-sem Schritt über die Popkultur und den Umweg über die Rapmusik einer ebenfalls unterdrückten Minderheit rückt der White Trash ins Rampenlicht. In einer beispiello-sen kulturellen und semiotischen Revolution, die wie selbstverständlich über die Popmusik führt, wird der White Trash zum Leitbild einer neuen Jugendkultur. Die Strategie ist eine bekannte: Der unterdrückte White Trash kannte vorher keine Community, es gab keine Rassen- und Klassenfragen für ihn. Diese Verwundbarkeit benutzt er für seine Strategie der Affirmation des eigenen »Müllseins«. Während in den frühen 90ern noch der Grunge-Diskurs von Selbsthass und Selbstzerstörung ge-prägt ist, verdichtet sich mit den hyperbolisch narzisstischen Gesten des Gangsta-Rap – »Ich bin der Größte, Schönste, Gefährlichste und vor allem Potenteste« – die eige-ne Ungebundenheit und Verletzlichkeit zu einem neuen und aggressiven Selbstbild.
Der White Trash akzeptiert seinen »Müllstatus« innerhalb der Gesellschaft, macht eben diese zum Schuldigen und benutzt diese Position, von der aus er nichts mehr zu verlieren hat, um alle anzuklagen, alle vor den Kopf zu stoßen. Dies geschieht mitun-ter in der (scheinbar) einfachen Übersetzung vom Image des bösen schwarzen Rap-pers zum ebenso bösen American Badass des White America, der sein Selbstbild und öffentliches Image vitalistisch mit der Befriedigung seiner körperlichen Bedürfnisse konstruiert. Oder er transzendiert wie Eminem die bloßen Posen des Pimp’n’Gangsta-Rap, schließt sich in ihrer Nutzung den kreativeren Formen des Körper- und Gesamt-kunstwerks an und macht sich so zur Projektionsfläche und Kunstfigur für die Begeh-ren von vielen anderen.
Und das gesamte Wort- und Bildrepertoire der Popkultur steht hinter dem White Trash. Wenn der Ersatz für eine intakte Familie die Superhelden aus den Comicheft-chen und das tägliche Fernsehprogramm sind, dann hat der White Trash-Star einen enormen Fundus, um die kulturelle Wirklichkeit seiner Umwelt in beliebiger Brechung zu spiegeln. Vielleicht ist nämlich die Popkultur das einzige, was dem White Trash bleibt. Sie kennen jede Fernsehsendung, sie sind mit Superhelden-Comics aufge-wachsen und sie haben jedes Klischee des amerikanischen Lumpenproletariats selbst erlebt: Der Vater trinkt oder hat die Familie verlassen, wahlweise trinkt auch die Mut-ter, nimmt ihre Pillen oder hat ihrerseits entweder die Familie verlassen, wechselt täglich ihre Liebhaber, die natürlich ihre Kinder schlagen, oder kommt vor lauter Trägheit und Fettleibigkeit nicht mehr aus dem Haus und weder von der Pralinen-schachtel und noch vom Fernsehgerät weg. Ein anschauliches Beispiel zu letzterem Fall liefert Lasse Hallström mit What’s Eating Gilbert Grape (US 1993).
3. Eminem: White Trash Media Jester
Guess who’s back, back again/ Shady’s back, tell a friend/ Guess who’s back, guess who’s back, guess who’s back/ Guess who’s back…
Now this looks like a job for me so everybody just follow me/ cuz we need a little controversy, cuz it feels so empty without me
(»Without Me«)
Die bislang lauteste Stimme aus den Reihen der Trailerparks, Ghettos, den Vorstäd-ten und den falschen Straßenseiten gehört Eminem. Gebürtig als Marshall Mathers aus Detroit transformiert er seine Initialen über die Schokonüsse M&M zu einem Eminem und haucht schon auf seiner ersten EP und dann seinem ersten Album auf einem Major Label der bösartigen Kunstfigur Slim Shady Leben ein. Eminem wird von dem einflussreichen Musikproduzenten und Komponisten Dr. Dre protegiert, der viele schwarze Rapgrößen wie zum Beispiel Snoop Doggy Dogg unter seine Fittiche ge-nommen und zu Welterfolgen gebracht hat. Er trägt die Uniform der vorstädtischen Jugend: Blondierte kurze Haare, zahlreiche Tätowierungen, schwere Ketten, Trai-ningsanzüge oder Baggy-Style. All dies zeichnet auch seine Actionfigur, eine ver-schärfte und jugendliche Ausgabe des »Alabama Man«, aus, der man zusätzlich noch die Eishockeymaske und die Kettensäge anstecken kann, die Eminem nebst einer Redneck-Hütte für seine Bühnenshow braucht. Eminem hat die Mythen des White Trash zu seinem kreativen Ausgangspunkt gemacht und benutzt sie für eine multi-mediale Identitätspolitik, die aus Flucht- und Verschiebungsbewegungen besteht. Während sich der im stets selben Image des American Badass suhlende Kid Rock seiner White Trash-Herkunft zumindest im Videoclip treu bleibt, verschreibt sich Emi-nem trotz seiner persönlichen Themen wie seiner Familie und seinen Privatfehden immer mehr der Popkultur und den medialen Mythen Amerikas.
Seine Konzerttour 2001 bestritt Eminem in folgender Inszenierung: Auf der Bühne steht eine Holzhütte, wie sie im Süden oder Mittleren Westen Amerikas im Wald oder am Rande der Zivilisation im Wilden Westen stehen könnte. Eminem tritt auf, mas-kiert. Er trägt eine Latzhose, eine weiße Eishockeymaske und bringt dann eine Mo-tor-, eine Kettensäge in Gang. Eminem schließt damit an die amerikanischen media-len Mythen von den degenerierten und wilden Rednecks an, die zumindest im Holly-woodfilm die größte Gefahr für das zivilisierte Amerika darstellen. Kulturpoetisch äu-ßerst wirksame und nachhaltige Filmmythen wie The Texas Chainsaw Massacre und Friday the 13th (US 1980) werden zitiert und neu kombiniert. Eminem bedient sich dabei einer Guerilla-Semiotik der Drohung, arbeitet mit den Erkennungszeichen die-ser modernen Mythen und leiht sie sich für die eigene Kunstfigur: Er ist der American Nightmare, die Schattenseite des American Dream, die diesen ständig bedroht. Er gibt vor, damit die wahren Werte Amerikas zu repräsentieren, und nicht von unge-fähr sind es wieder die Familienwerte, die Amerika ausmachen. The Saw is the Fami-ly. Wie die verhasste Mutter Debbie Marshall ist es auch in Friday the 13th zunächst die Mutter, von der die böse Macht ausgeht. Die böse Mutter ist die Hexe Amerikas, wie auch David Lynch in Wild at Heart (US 1990), seiner beeindruckenden Version eines der älteren kulturpoetisch äußerst wirksamen Kulturdokumente Amerikas – Vic-tor Flemings Verfilmung des kulturökonomischen Romans Frank Baums: The Wizard of Oz (US 1939).
Neben Filmen spielen auch Popmythen wie Elvis, verschiedene Trash-Talkshows und auch Comics eine wichtige Rolle im intertextuellen und intermedialen Zitatenspiel Eminems. In »Business« und »Without Me« spielt Eminem deutlich auf das Dynamic Duo aus Gotham, Batman und Robin, an. Dr. Dre ist der coole ältere Batman, wäh-rend Slim Shady beziehungsweise Eminem beziehungsweise Marshall Mathers Rap-boy ist, allerdings mit einem invertierten »E« als Superheldenlogo. Im Video zu »Without Me« aus dem letzten Album The Eminem Show ziehen beide los, um ein unschuldiges Kind vor dem Abspielen der falschen CD zu bewahren und ihm statt-dessen die CD Eminem Show zu überreichen. Denn ohne Eminem – »Without Me« – und seine Provokationen ist die amerikanische Kultur nichts. So taucht Eminem in Zwischenblenden zu dieser Rettungsaktion in entscheidenden Positionen der ameri-kanischen Popular Culture auf, weil diese ohne ihn inzwischen leer und bedeutungs-los wäre:
Now this looks like a job for me so everybody just follow me/ cuz we need a little controversy, cuz it feels so empty without me
(»Without Me«)
Sogar Osama Bin Laden muss sich der geballten Popkultur der USA, repräsentiert durch Eminem und seine Rap-Kollegen D-12, ergeben und fröhlich den Eminem-Veitstanz mittanzen. Und indem Eminem den Erzfeind der USA, das in der öffentli-chen Wahrnehmung Person gewordene Böse, der Lächerlichkeit preisgibt, kommt es zu einem ungewohnten Schulterschluss: Der von allen Seiten gescholtene böse Junge der Nation wird auf einmal zum offiziellen Hofnarren, weil er den »heiligen« Krieger profaniert, erniedrigt und so eventuell empfindlicher trifft, als die militärischen Kam-pagnen dies vermochten.
Dass nun gerade das Superheldenduo Batman und Robin die Vorlage für Eminems Comicrezitation bilden, ist auch nicht zufällig. Denn seit der aufsehenerregenden Veröffentlichung von The Seduction of the Innocent (1954), einer vernichtenden Kri-tik des Mediums Comic durch den Psychologen Fredric Wertham, sind das Pärchen Batman und Robin, The Boy Wonder, das Emblem und der Inbegriff für eine homo-sexuelle Beziehung mit pädophilen Anklängen. Dieses schnell zum Stereotyp avan-cierte Bild der beiden wird schon in den 60ern in der Fernsehserie Batman mit einem ironischen Camp-Blick affirmiert. Wiederaufführungen dieses Gay Couples in bunter Drag-Kleidung gibt es neben dem Kinofilm Batman (US 1966) zur Fernsehserie bei Joel Schumachers Batman Forever (US 1995) und Batman & Robin (US 1997). Wäh-rend es zu Batman Forever noch erregte Diskussionen gab, warum der schwarze Gummianzug Batmans plötzlich Nippel auf der Brust hat, beginnt Batman & Robin gleich mit zwei eindeutigen Butt Shots der beiden Helden in Latex. Mit seiner Ver-wandlung in Rapboy entzieht Eminem sich wiederum durch die Verwandlung in eine neue Kunstfigur der heftigen Kritik an seinem zur Schau getragenen Schwulenhass. Auch die Tatsache, dass Eminem seinen Hit »Stan«, der im Original mit der Sängerin Dido eingespielt wurde, live mit Englands Vorzeigeschwulen Elton John aufführt, rüt-telt an der Eindeutigkeit dumpfer Hasstiraden gegen fremde Gruppen. Ist Eminem also nur ein geschickter Entertainer, der seine gewalttätigen Texte und Darbietungen in Comedy und im Spiel seiner multiplen Kunstfiguren auflöst?
4. »The Real Slim Shady«: Eminems Phantome des Ichs
Eminem schlüpft immer wieder in unterschiedliche Rollen, die auf verschiedenen Fik-tionsebenen angesiedelt sind und unterläuft so in einem Zug die Vorstellung des ei-nen Körpers und des einen Subjekts. Da ist zunächst Eminem, der Medienstar, unter dessen Namen Rap-Platten herauskommen. Aber dann verkomplizieren sich die Ver-hältnisse: Eminem wird ein Alter Ego zur Seite gestellt: Slim Shady, ein noch böserer Evil Twin, der in den fiktiven Stories sein Unwesen treibt. Nach und mit ihm heißt Eminems zweite CD The Slim Shady LP (1999). Dabei ist der Name selbst schon si-gnifikant: Shady, das bedeutet so viel wie dunkel, zwielichtig, ungenau, nicht genau aus- und festzumachen. Wen haben wir hier also? Jemanden, der nicht genau zu greifen ist und sich immer wieder entzieht.
Und es tauchen immer weitere Figuren auf: Mit der nächsten Platte (The Marshall Mathers LP, 2000) tritt im Ensemble der »reale« Mensch Marshall Mathers, der hinter dem Rapper Eminem steckt, in den Vordergrund. Des Weiteren schlüpft Eminem in die Rolle von Stan, seinem No. 1-Fan. Das letzte Album The Eminem Show (2002) scheint von gebetsmühlenartigen Hass- und Gewalttiraden der Kunstfiguren ein we-nig abzuweichen und – nach Eminems Aussagen und denen seiner Kritiker – einen reiferen Marshall Mathers auf die Bühne zu bringen. Unklar bleibt, wer nun der wirk-liche Eminem ist, wer der wirkliche Slim Shady und wer Marshall Mathers ist. Would the Real Slim Shady Please Stand Up!
Als Eminem also zum ersten Mal auf die Bühne tritt, ist er mindestens schon drei Per-sonen. Eminem repräsentiert damit zum Teil die Mehrstimmigkeit seines White Trash-Hintergrundes und vollzieht dies künstlerisch durch Doppelung und Figuren-aufspaltung. Wo ist das eine Subjekt, das hier noch zu fixieren wäre? Eminem ist immer schon Viele, wenn etwa im Video zu »The Real Slim Shady« eine Menge von Statisten als Eminem/Slim Shady auftreten. Oder man erinnere sich an den Massen-auftritt bei den MTV-Music Awards 2001: Lange Schlangen von Eminem-Klonen, mit blondierten Haaren, in Trainingshose und weißem Hemd, füllten plötzlich die gesam-te Halle und drängten zur Bühne. Ganz Amerika ist Eminem – There’s a Slim Shady in All of Us.
Eminem bedient sich so der Strategie eines postmodernen Durchspielens verschiede-ner Zeichen und Diskurselementen: Im Rahmen des Gesamtkunstwerks Eminem kommen mit den verschiedenen Figuren und Rollen eine Vielzahl von unterschiedli-chen und zum Teil widerstreitenden Stimmen zur Sprache. Das dezentrierte und mul-tiplizierte Subjekt bespiegelt sich, die Grenzen des Machbaren austestend, fröhlich selbst in den mannigfaltigen Möglichkeiten moderner Medien. Eminem vervielfältigt sich zur vielstimmigen White Trash-Masse und wird damit als Individuum ungreifbar. Der Angriff auf die eigene Einzigartigkeit wird hier zur missionarischen Aufgabe: In der Vervielfältigung verschwindet der individuelle Körper – was sich zugleich damit auflöst, ist der greifbare, reale, identifizierbare Körper als Garant und verifizierbare Referenz des einen, individuellen Subjekts.
Grundsätzlich ist an dieser Stelle natürlich zunächst die allgemeinere Frage zu stellen, mit welchem Recht sich überhaupt noch vom Körper sprechen lässt, wenn er in das Reich der Zeichen und des Medialen, dem sogenannten »Imaginären« eingegangen ist, wenn er zum »Medienkörper« geworden ist, sei es im Film, im Fernsehen, in Vi-deoclips oder auch auf Musikalben. Denn dann geht es nicht mehr um den irreduzibel materialen Körperrest, sondern um ein System von Repräsentationen, das medial gesteuert Codierungen vornimmt. Der gängige Ausdruck bezeichnet diesen Prozess als die »Virtualisierung« des Körpers. Der Körper wird zum Simulacrum seiner selbst. Ganz allgemein und basal verschwindet der Körper. Er ist nicht mehr greifbar und wird in seiner ästhetischen und ästhetisierten Abbildung mehr noch als im alltägli-chen Leben zur manipulierbaren – weil virtuellen – Projektions- und Benutzeroberflä-che der eigenen und fremden Darstellungsabsichten des Stars, des Künstlers, des Regisseurs und des Publikums (Fan Culture, Celebrity Culture). Der Körper nimmt die Charakteristika eines distinkten Mediums mit all seinen Eigengesetzlichkeiten und der interpretativen Wahrnehmung der Zuschauer an. Man könnte den Medienkörper des Stars als ein mediales Chamäleon betrachten, das seine Gestalt den jeweiligen Archi-ven der Popular Culture, aber eben auch schon den jeweiligen interpretativen Blicken der Zuschauer verdankt.
In Eminems Fall, wie auch bei vielen anderen Rappern, geht die Virtualisierung des Körpers mit einer Darstellung von Gewalt einher, die sehr schnell die Zensur auf den Plan ruft. Da werden seine Ex-Frau, seine Mutter oder Schwule nicht nur »gedisst«, sondern gleich mit diversen Folter- und Mordwerkzeugen bearbeitet und unter die Erde gebracht. Der Körper muss entsorgt werden, fortgeschafft, unsichtbar muss der Körper werden, Spuren müssen beseitigt werden: Auf der Slim Shady LP versenkt Shady die Leiche seiner Ex-Frau im See, der tote Dr. Dre wird im Keller verscharrt, Stan ertränkt sich und seine Freundin mit einem Autosprung von der Brücke im Fluss, und am Ende sind Slim Shady und sein Kollege Royce in »When Bad Meets Evil« tat-sächlich nur noch Geister:
I don’t speak, I float in the air wrapped in a sheet
I’m not a real person, I’m a ghost trapped in a beat
I translate when my voice is read through a seismograph
(»When Bad Meets Evil«)
Allem Anschein nach sind Körper ihrer Medialisierung im Weg, ihre unerträgliche, weil vielleicht eindeutig identifizierende Materialität hinderlich. Die Gewalttätigkeit des Medienkörpers Eminem ist eine Gewalttätigkeit, die sich an und gegen Körper richtet, gegen fremde und gegen den eigenen. Was hier vernichtet werden muss, ist die bin-dende, einschränkende Referenz, die der materielle Körper für das mediale Subjekt darstellt. Die virtuelle Repräsentation des Körpers als letztes Residuum der körperli-chen Referenz wird bei Eminem zerstückelt. Zugleich wird der autonome individuelle Körper als Garant des einen und individuellen Subjekts multipliziert, und die essenzielle Identität des Subjekts verflüchtigt sich.
Eminem ist die Reflexion einer Existenz als Medienfigur und befindet sich im Zustand permanenter Virtualisierung und Beobachtung unter den komplexen Bedingungen, die sich im Wechselverhältnis zwischen seiner künstlerischen Tätigkeit, den medialen Produktionsbedingungen und den Rezeptionsweisen der Öffentlichkeit ergeben. Be-obachtbar ist das nicht nur an den Titeln seiner Alben, die die verschiedenen Facet-ten und Ebenen seiner heterogenen Identität benennen, sondern auch an den Vide-os, die ausdrücklich Eminem auf verschiedene Figuren projizieren, die aber alle ge-brochen und in verschiedenen kulturellen Kontexten wie Filmen, Comics und Talk-shows gerahmt sind, der amerikanischen Alltagskultur eben.
Alle Elemente des bisher über Eminem Gesagten – die Verwurzelung in der »niede-ren« Volkskultur des White Trash, exzessive Gewaltdarstellungen, hyperbolische Er-niedrigungen, das verschwindende Subjekt – lassen sich in eine ästhetische Tradition einordnen: Sie stehen deutlich in der Linie des grotesken Körpers, den der russische Literaturwissenschaftler Michail Bachtin (Rabelais und seine Welt, Literatur und Kar-neval) beschrieben hat. Das Groteske, die Ästhetik des mittelalterlichen Karnevals, ist eine strikt diesseitige Ästhetik des Materiellen und Leiblichen. Sie zeichnet sich durch Momente hyperbolischer Kreatürlichkeit, durch Degradation, Profanität, Inversion und Obszönität aus. Körper werden zergliedert und wieder zusammengefügt, es wird gefressen und gesoffen, bis buchstäblich die Bäuche platzen, die wiederum neues Leben gebären. Das Hohe wird zum Niedrigen und umgekehrt. Pathos und Spirituali-tät werden in Profanität, Blasphemie und die Befriedigung körperlicher Bedürfnisse verwandelt. Der groteske Körper ist bei Bachtin in seiner Auflösung und Durchdrin-gung dezidiert nicht der individuelle Körper, sondern der kollektive Volkskörper. Da-bei wird mit der Konzeption des geschlossenen, abgeschlossenen individuellen Kör-pers auch die Vorstellung vom autonomen Subjekt und essenzieller Identität exeku-tiert.
Das sind allesamt Qualitäten, die man Eminem gerade in dieser Kombination ohne weiteres zusprechen kann. Er ist in dieser Perspektive durchaus als karnevaleske Er-scheinung zu lesen, die in ihren Äußerungen die hegemonialen Wertsysteme einer heuchlerisch politisch korrekten amerikanischen Gesellschaft auf den Kopf stellt, in dem er ihr wie Till Eulenspiegel einen bizarren zerbrochenen Spiegel vorhält und ihre strukturelle und kulturelle Gewalt bis zur letzten Konsequenz in die Obszönität und die körperliche Gewalt überführt.
Die Strategien des grotesken Körpers, die Benutzung des Archivs der amerikanischen Popular Culture, die Strategie der Doppelung und Figurenspaltung sowie ein rappen-der Sprechakt, der zwischen Authentizität und Performanz, Hate Speech und poly-phoner Zitation schwankt, lassen die Figur Eminem – und damit auch seinen White Trash Background – gerade zu einem Kristallisationspunkt der amerikanischen Kultur und damit vielleicht auch zu einer ihrer wichtigsten Stimmen werden. Eminem wird also gerade in der Verwendung grotesker ästhetischer Praxen, die eben die Gewalt am Körper beinhalten, zum Sprachrohr verschiedener Stimmen und verleiht nicht zuletzt dem White Trash eine Stimme. Diese tönt aber durch die Kunstfiguren Emi-nem, Slim Shady oder Rapboy gefiltert nur noch im Pop-Comic-Format, gerahmt von der Virtualität der eigenen Körperlichkeit.
5. Schwarzweißmalerei
Aber warum das alles, wozu dienen diese aufwendigen ästhetischen Praxen? Zwei denkbare Antworten zeichnen sich ab, die sich eventuell auch gegenseitig ergänzen und parallel lesbar sind. Erstens ein spezifisches Argument, im Hinblick auf das Um-feld »Rap«, in dem Eminem sich bewegt. Rap ist ursprünglich ein schwarzes Ge-schäft, eine dezidiert schwarze Artikulationsform – und Eminem/Marshall Mathers ist weiß. Schwarz und Weiß sind Signifikate, die in ihrer Bedeutungshaftigkeit erst in den Einschreibungspraktiken am Körper entstehen, diesem aber unauslöschlich anhaften. Der Körper wird immer Zeuge und Zeugnis dieser kulturellen Einschreibung bleiben. Diesen Makel kann der White Trash Boy Eminem nicht kaschieren, also muss der ganze Zeuge beseitigt werden, der Körper als Träger dieser kulturellen Differenz – und Eminem betreibt über weite Strecken nichts anderes als die genüssliche und doch zwanghafte Entkörperlichung in der medialen Repräsentation. Wenn der Körper als Referenz der Unterscheidung, die das Drinnen/Draußen im Rap markiert, beseitigt ist, spielt Schwarz/Weiß keine Rolle mehr:
How the fuck can I be white, I don’t even exist
(»Role Model«)
Mit dem Körper verschwindet aber nicht nur die Unterscheidung Schwarz/Weiß, son-dern wie gesagt auch die Referenzgröße für das eine Subjekt, die es erlaubt, dieses festzuschreiben, einzugrenzen, zu fixieren und auch zur Verantwortung zu ziehen. Das ist es, was besorgte Eltern und die politisch Korrekten allen Ortens in Aufruhr versetzt und zur Weißglut getrieben hat. Eminem kann die widerwärtigsten Taten beschreiben, zu ihnen aufrufen und auf das Übelste Schwule und Lesben beleidigen – hinterher aber kann er immer die Verantwortung verschieben, fort von sich und auf der Differenz ästhetischer Praxis beharren. Es spricht eben der böse Bube Slim Shady und nicht Eminem oder Marshall Mathers. Er kann das, weil er den Körper als Refe-renz für das eine autonome Subjekt nachhaltig aus seiner ästhetischen Praxis getilgt hat. Wer also trägt innerhalb dieses komplexen Personenrollenverbundes die Ver-antwortung? Wer ist der Täter? Die multiplen Vervielfältigungen in horizontaler wie vertikaler Richtung (und letztlich in die dritte Dimension, denn wer steht hinter dem Marshall Mathers, der uns als authentisches Subjekt verkauft wird aber ja genau wie die anderen Instanzen ein Produkt medialer Repräsentation ist?), diese Vervielfälti-gungen lassen eine Zielscheibe entstehen, auf der die eifrigen PC-Schützen immer nur den Falschen treffen können. Eine authentische Täterschaft ist hier nicht mehr auszumachen.
Aber wer spricht dann? Am ehesten noch die zu Wort kommenden Diskurse selbst, die verdrängten Momente der Barbarei, die ungehemmte Gewalt, das Recht des Stärkeren, die unkontrollierte Wut und der Hass gegen alles und jeden und Rache am Rest der Welt; es sind vielleicht diese Ideen des Prä-Zivilisatorischen und Un-Kultivierten, die sich hier ihr Ventil suchen und deren medialer Effekt die Figur Emi-nem ist. Der White Trash, die Kehrseite des amerikanischen Traums, die niemand sehen will, die es am Besten gar nicht geben sollte, findet so zu einer paradoxen, aber irgendwie angemessenen Repräsentation: Die Ausgestoßenen, Übersehenen und Ungehörten erhalten eine Stimme, die sich wiederum eben nicht authentifizieren lässt, eine Stimme ohne Sprecher.
Arno Meteling/André Suhr
Über die Autoren:
Arno Meteling, geb. 1972, Studium der Germanistik, Publizistik, Angewandte Kulturwissenschaften und Philosophie an der Westfälischen Wilhelms-Universität Münster. Arbeit an einer Dissertation zu Monster. Die Ordnung der Körper und Medien am Graduiertenkolleg Codierung von Gewalt im medialen Wandel der Humboldt-Universität zu Berlin. Lehraufträge an der WWU Münster, der Otto-von-Guericke-Universität Magdeburg und der HU zu Berlin. Publikationen zu Literatur- und Kulturwissenschaft, Comic und Film. Mitherausgeber von Kursbuch Kulturwissenschaft. Münster 2000.
André Suhr, geb. 1972, Studium der Deutschen Philologie, Englischen Philologie und der Angewandten Kulturwissenschaften in Münster, Magister-Abschluss 1999. Danach wissenschaftliche Mitarbeit bei den Angewandten Kulturwissenschaften in Münster mit den Schwerpunkten Ästhetik, Identität und Popular Culture, daneben Tätigkeit für eine Unternehmensberatung in den Bereichen qualitative Marktforschung und Konfliktmanagement. Seit 2001 Schulbuchredakteur in Berlin. Mitherausgeber von Kursbuch Kulturwissenschaft. Münster 2000.