»Jeder hat etwas, das er vergessen will.«

Es ist fast seltsam, wie produktiv das asiatische Gruselkino nach den nunmehr beinahe zehn Jahren, die es hier im Westen rezipiert wird, immer noch ist. Vor allem Korea und Thailand tun sich in den letzten Jahren mit Produktionen hervor, die die Muster des „J-Horror“ gekonnt adaptieren und variieren und zwar scheinbar immer dieselbe Geistergeschichte erzählen, dies jedoch mit einer sich stetig perfektionierenden Ästhetik. Die Variation der Themen mag sich dabei mehr und mehr auch an das westliche Publikum richten – den markanten narrativen Einschlag, der zumeist von Themen der persönlichen Vergangenheitsbewältigung handelt, verlieren aber auch die jüngsten Filme nicht. Die Pang-Brothers, die in der Vergangenheit für mehrere Werke aus Thailand als Produzenten und Regisseure auftraten, haben mit „Re-Cycle“ nun versucht, den Geisterfilm mit dem Fantasy-Film zu paaren. Und auch hier verschmelzen Erzähltradition und ästhetische Innovation aufs Beste.

Die Themenwahl des Films greift ein nicht nur seit der Frühzeit des Kinos beliebtes Motiv – das des Doppelgängers – auf, sondern geht sogar noch weiter zurück bis in den Themenfundus der Gothic Novel, die die Frage nach der künstlerischen Produktion selbst zu einem Thema des Horrors gemacht hat (vgl. Poes „Das ovale Portrait“ oder Oscar Wildes „Das Bildnis des Dorian Gray“). In „Re-Cycle“ begibt sich eine Schriftstellerin, Tsui Ting-Yin (Angelica Lee), bei der Recherche zu einem Geisterroman auf Introspektion. Das Thema ihres Buches, das bezeichnenderweise ebenso wie der Film „Re-Cycle“ heißt, soll vom Vergessenen und Verdrängten handeln. Den „Einstieg“ in das Thema findet sie daher über das Löschen von scheinbar missglückten und verworfenen Text-Passagen. Zunächst tauchen von ihr „beschriebene“ und gelöschte Figuren in ihrer Welt auf. Als sie dann beginnt, einen eigenen fiktionalen Kosmos zu entwerfen, verwandelt sich ihre Welt in diesen und sie ist – das macht den Hauptteil des Films aus – bemüht, aus diesem wieder hinaus zu finden.

Die Tatsache, dass sich die Autorin selbst zur zentralen Figur ihrer Erzählung macht, ist schon ein selbstreflexiver Hinweis auf eine mögliche Lesart von „Re-Cycle“. Dessen Narration existiert schon deshalb zwei Mal, weil der Roman, den sie schreibt, wie der Film heißt, der vom Romanschreiben handelt. Die Pang-Brothers inszenieren hier also einen Stoff, der mit der Differenz von Autorschaft und impliziter Autorschaft spielt. Wie die junge Frau in der Fantasy-Welt ihre eigene Geschichte wahrnimmt und welche Wege sie durch ihre mentale Landschaft nimmt, wird nicht nur der Stoff für ihren Roman sein, sondern lässt sie auch einen Blick auf sich selbst werfen. In der Fantasy-Welt begegnet sie dem von ihr Verworfenen und Verdrängten, all jenen Stoffen, aus denen immerschon das „Unheimliche“ bestand, das sein Kapital aus der Oszillation zwischen heimlichen und heimeligen schlägt. Insofern wird das zentrale verdrängte Trauma, dem sie dort begegnet, für sie auch schließlich zum Kern ihrer Erzählung und zu einem Ausgang aus der Welt des Verdrängten, die sich immer mehr als „therapeutischer Raum“ erweist.

Ohne hier zuviel verraten zu wollen, läuft der Film „Re-Cycle“ damit auf ein konsequentes Ende hinaus, wo sich die zwei Autorfunktionen begegnen und das Motiv des Doppelgängers aus dem Horror-Inventar in eine beinahe psychische Katharsis überführt wird (mit Otto Rank, der die Figur des Doppelgängers bereits 1914 beinahe erschöpfend untersucht hat, ließe sich der Film komplett psychoanalytisch als Fallgeschichte interpretieren). Aber auch über eine solche quasi therapeutische Lesart hinaus gewinnt „Re-Cycle“ gerade durch seine spielerischen Selbstreflexionen und die Behandlung des Themas „Autorschaft und Biografie“ eine faszinierende Deutungsmöglichkeit. Die Eigenartigkeit, sich selbst in die Fiktion einzuschreiben und beim Lesen daraus Dinge zu lernen, die man „immer schon“ über sich wusste, ohne dass sie je bewusst waren, wäre hier ein anderer Zugang zur Erzählung.

Umgesetzt ist das ganze mit perfektesten formalästhetischen Mitteln. Die Pang-Brothers verstehen ihr Handwerk, gelangen immer wieder zu originellen Perspekiven und Inszenierungsweisen, mit denen sie den Fundus an Horror-Darstellungen erweitern. „Re-Cycle“ wirkt – obwohl er die x-te Variante des Geisterfilms darstellt – auch deswegen streckenweise extrem gruselig. Darüber hinaus macht die Ausstattung den Film zu einem optischen Genuss. Die Ideenvielfalt gerade bei der Ausgestaltung der Fantasy-Welt, in der sich die Protagonistin wiederfindet, sucht ihresgleichen. Sicherlich sind auch hier motivische Bezüge – etwa zur „Silent Hill“-Spielreihe oder zu den Zeichentrick-Welten Hayao Myazakis – zu finden. Doch bleibt „Re-Cycle“ in der Variation dieser Anleihen stets er selbst und schöpft sein Potenzial allein aus der Verbindung von Erzählgegenstand und Darstellungsweise. Das tröstet nicht nur über die typisch kitschige Auflösung des Grusel-Rätsels hinweg (die wie so oft im asiatischen Gruselkino rein biografisch-traumatischer Natur ist), sondern zeigt auch, wieviel Potenzial in der Variation des Immergleichen liegen kann, wenn es erst einmal qua Selbstreflexion auf die Bedingungen seiner Möglichkeiten blickt.

Re-Cycle
(Gwai wik, Thailand/HK 2006)
Regie: Oxide Pang Chun & Danny Pang; Buch: Cub Chin; Musik: Payont Permsith; Kamera: Decha Srimantra; Bauten/Dekorationsbau: Sir Laosson Dara; Kostüme: Una Wang
Darsteller: Angelica Lee, Lawrence Chou, Siu-Ming Lau, Rain Li, Jetrin Wattanasin, Qiqi Zeng u.a.
Länge: 104 Minuten
Verleih: Splendid

Die DVD von Splendid

„Re-Cycle“ ist als Special-Edition auf Doppel-DVD erhältlich. Die Film-DVD ist mit deutschem und original kantonesischem Ton sowie deutschen Untertitel ausgestattet. Die zweite DVD enthält ein Making-of, Behind the Scenes und verschiedene Interviews als Zusatzmaterial.

Die Ausstattung der DVD im Einzelnen:

Bild: 16:9 (2,35:1)
Ton: deutsch (DD 5.1), kantonesisch (DD 5.1)
Untertitel: deutsch
Extras: Making-of, Bhind the Scenes, Interview mit den Regisseuren, Präsentation des Films auf einem Festival, Red-Carpet-Reel
FSK: ab 16 Jahre
Preis: 22,89 Euro

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Diese Kritik ist zuerst erschienen bei „Der Schnitt“ Online

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