»Ich habe Angst vor mir selbst.«

Nach Ulli Lommels „Die Zärtlichkeit der Wölfe“ hat es – vielleicht bis Kamakars „Der Totmacher“ – jahrelang keinen europäischen Serienmörderfilm gegeben, der wirklich Originalität für sich verbuchen konnte. Entweder sind die Beiträge des Genres zu sehr den ab Ende der 1970er Jahre entstehenden Slasher-Film verpflichtet gewesen, oder sie sind – wie ein paar jugoslawische Serienmörderfilme („Davitelj protiv davitelja“ und „Ujed andjela„, beide von 1984) – unentdeckt geblieben. 1983 entsteht in Österreich ein äußerst ambitionierter Beitrag zum Thema von Gerald Kargl, der sich mit dem Projekt jedoch finanziell so sehr überhoben hatte, dass seine Karriere danach abbrach. „Angst“ heißt der Film und zählt auch heute noch zu den beunruhigendsten Serienmörderfilmen überhaupt.

Er erzählt die Geschichte eines unbenannten jungen Mannes (Erwin Leder), der, frisch aus einer zehnjährigen Haftstrafe wegen Mordes entlassen, einen lang gehegten Plan umsetzen will: den perfekten Lustmord. Alles hat er sich in seiner Fantasie bereits ausgemalt: Wie die Opfer sein müssen, auf welche Weise er sie quälen und schließlich töten will. Nach ein paar Fehlanläufen gerät er zu einem scheinbar verlassenen Haus im Wald, in das er einbricht. Schnell entdeckt er, dass dort eine alte Frau (Edith Rosset) mit ihrem behinderten Sohn (Rudolf Götz) und ihrer jugendlichen Tochter (Silvia Rabenreiter) lebt. Er überwältigt die drei im Handumdrehen und versucht nun seinen Plan in die Tat umzusetzen. Am Ende des Massakers verstaut er die Leichen im Kofferraum eines Autos, um mit ihnen zu seinen nächsten Opfern zu fahren, die er mit den toten Körpern konfrontieren will, bevor er sie tötet. Die Polizei setzt seinem Amoklauf jedoch ein jähes Ende.

Gerald Karls „Angst“ ist in vielerlei Hinsicht ein bemerkenswerter Film. Wie wenige Werke dieser Zeit (etwa Eckhard Schmidts „Der Fan„) vermittelt er eine Ahnung von der „Kälte“ seiner Epoche: Die frühen 80er Jahre in „Angst“ spiegeln sich in der Trostlosigkeit der Kleinstadt, auf dem Lipgloss der gelangweilten Frauen im Kaffeehaus und im Inetrieur des vermeintlich „verlassenen“ Hauses der Opfer wider. Die absolute Kälte, die überdies die Atmosphäre der Erzählung bestimmt, überträgt sich bereits nach den ersten Bildern auf den Zuschauer. Der Off-Monolog des Serienmörders – ein selten genutztes Verfahren (hauptsächlichen in Serienmörderfilmen der 40er und 50er Jahre, wie Chaplins „Monsieur Verdoux“ oder Bunuels „Ensayo de un Crimen“) steht in scharfem Kontrast zu den Bildern, die der Film zeigt, ergänzt diese jedoch immer wieder um die „Innenansichten“ des Täters: Während er in gehetzter Angst seine Opfer tötet, malt er sich aus, was er mit ihnen tun will, auf welche Weise er sie quälen will. Das muss der Film dann auch gar nicht zeigen – die Beschreibungen allein evozieren schon Bilder des Grauens im Kopf der Zuschauer.

Dass der Täter hier im „Zentrum“ des Geschehens steht, ist hier einmal wörtlich zu verstehen. Er ist Ausgangs- und Zielpunkt der Erzählung. das Kameraauge ist stets auf ihn gerichtet – mit einer technisch ausgeklügelten Konstruktion heftet der polnische Kameramann Zbigniew Rybczynski seinen Blick auf die Hauptfigur: Die Kamera ist zeitweise am Körper Leders befestigt, umkreist ihn ständig und behält ihn selbst bei seinen Hetzjagden fest im Blick. Dem Zuschauer wird dieser Blick geradezu aufgezwungen. So, wie der Kontrast zwischen Tun und Denken des Killer die ganze Profaneität des Mörders und seiner Taten entlarvt, dekuvriert dieser Blick die hohle Faszination des Publikums am Phänomen „Serienmord“.

Doch „Angst“ wird dadurch keineswegs zum „Meta-Serienmörderfilm“. Die Ästhetik des Films lässt keinen Blick hinter die „Kulissen“ zu. Der sich durch seine Agenda vorwärts-zwingende Killer, die Unaufhaltsamkeit der Vorgänge, unterstützt durch den treibenden Soundtrack des Berliner Elektronikspezialisten Klaus Schulze, bieten dem Zuschauer kein Moment der Kontemplation. Wie gelähmt ist man mit den Ereignissen konfrontiert – eine Lähmung, die selbst über zwanzig Jahre nach der Veröffentlichung des Films durch diesen noch erreicht wird.

Angst
(Österreich 1983)
Regie: Gerald Kargl, Buch: Gerald Kargl & Zbigniew Rybczynski, Kamera & Schnitt: Zbigniew Rybczynski, Musik: Klaus Schulze
Darsteller: Erwin Leder, Rudolf Götz, Silvia Rabenreither, Edith Rosset u.a.
Länge: 75 Minuten
Verleih: epiX

Die DVD von epiX

Das Berliner Label epiX hat in der Vergangenheit öfter gutes Gespür für die Horrorfilm-Geschichte bewiesen. Unlängst wurde dort der Dokumentarfilm „American Nightmares“ veröffentlicht. Wie bei dieser DVD ist auch bei „Angst“ das Zusatzmaterial von besonderem Wert und Intresse. Neben einer Einführung in den Film von Jörg Buttgereit (die herrlich improvisiert wirkt), liefert die Veröffentlichung noch etliches Zusatzmaterial in Film, Bild und Text. Zwar ist der beigefügte Kurzfilm „Zielgerade“ ein wenig mainriert ausgefallen, passt aber vom Duktus her durchaus zum Hauptprogramm. Besonders erfreulich sind ein Interview mit Kargl und ein Text, die der Mainzer Filmwissenschaftler Marcus Stiglegger beigesteuert hat. Sie helfen, den Film historisch und ästhetisch zu verorten.

Die Ausstattung der DVD im Einzelnen:

Sprache: Deutsch
Audio: Deutsch Dolby Digital Mono 2.0
Bildformat: 16:9 (anamorph widescreen)
Ländercode: 2
Specials: Intro von Jörg Buttgereit (SCHRAMM), 2 Kino-Trailer, Regisseur-Interview, ANGST-Artikel, Hinter den Kulissen-Fotogalerie, Interview mit Komponist Klaus Schulze, Biografie von Erwin Leder, Kurzfilm ZIELGERADE, animiertes Hauptmenü, EPIX-Trailer-Show
Veröffentlichung: 16.01.2006
Freigegeben ab 18

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