»I never had a future«

Bei keinem bewaffneten Konflikt zuvor wurde der Öffentlichkeit so sehr bewusst, dass es außer den zwei verfeindeten Parteien noch eine dritte, neutrale Gruppe gibt, die in den Krieg zieht: die Journalisten. Nachrichten über verletzte, entführte und getötete Reporter gehörten zu den täglichen Meldungen. Dass der Film – an erster Stelle der Dokumentarfilm – sich der heiklen Aufgabe der Kriegsberichterstattung und Portraits der Personen hinter den Nachrichten annahm, war angesichts der großen öffentlichen Aufmerksamkeit des Themas nur eine Frage der Zeit. Nach dem politisch sehr kritischen „Crontrol Room“ (USA 2004), der die Berichterstattung von Al Jazeera mit der amerikanischer Kollegen verglich ist nun ein privaterer Beitrag zum Thema erschienen: „Bearing Witness“ erzählt die Kriegserfahrungen von fünf Journalistinnen, die neben anderen Konflikten auch aus dem Irak-Krieg berichtet haben.


Die Oscar-Preisträgerin Barbara Kopple stellt mit ihren beiden Kollegen Bob Eisenhardt und Marijana Wotton die Erlebnisse, und Biografien der Journalistinnen Molly Bingham (Fotografin ), Marie Colvin (Sunday Times, London), Janine di Giovanni (The Times, London), Mary Rogers (CNN) und May Ying Welsh (Al Jazeera). Die fünf Frauen stellen dabei ihre zur Passion gewordenen Berufe und wie sie dazu gekommen sind, vom Krieg zu berichten, vor und erzählen von traumatischen Situationen. So verlor Colvin etwa bei einem Feuergefecht auf Sri Lanka ein Auge und die Birmingham verbrachte sieben Tage im berüchtigten Gefängnis Abu Ghraib – ungewiss, ob sie zum Tode verurteilt oder wieder auf freien Fuß kommen würde. Was alle Frauen betonen ist, dass sie trotz der Gefahren, Entbehrungen und traumatischen Situationen mit Leidenschaft hinter ihren Berufen stehen. Sie haben sich bewusst gegen ein bürgerliches Leben entschieden und reisen seither von Krisenregion zu Krisenregion.

Dass ein solches Leben nicht spurlos an der Persönlichkeit vorüber geht, deutet sich in Details an. So ist Birmingham, die noch recht sachlich von ihrer eigenen Inhaftierung berichtete zu Tränen gerührt, als sie mit zwei irakischen Frauen ein Gefängnis aufsucht, in dem diese unter dem Saddam-Regime jahrelang inhaftiert waren. Tränen aus Rührung oder aus Erinnerung an die eigene Situation? Doch gerade Birmingham betont den humanistischen Auftrag, den sie in der Kriegsberichterstattung sieht, nachdrücklich. Im Gefängnis inhaftiert ist sie sich sicher, dass sie entweder mit der richtigen Lebenseinstellung sterben würde oder nach der Freilassung ihre Arbeit sofort wieder aufnehmen würde.

Auch die amerikanisch-chinesische Al Jazeera-Reporterin Welsh versteht ihre Arbeit zuallererst als aufklärerisch. Nicht nur einmal hat sie in brenzligen Situationen die drohende Waffengewalt durch vermittelnde Gespräche der Gegner verhindern können. Im Kontrast zum westlichen Bild des Katarer Nachrichtensenders sieht sie ihre Arbeit bei Al Jazeera als kritische Berichterstattung, die gerade in Zeiten von „embedded reporters“ der US-Medien notwendig zu sein scheint. Dass Sie für ihre Arbeit am vermeintlichen „Feindsender“ gelegentlich kritisiert oder gar angefeindet wird, versteht sie als Resultat der amerikanischen Medienpolitik. Von den fünf Frauen ist einzig DiGiovanni „ausgestiegen“. Ihr Wunsch nach Kind und Familie, die unter den ständigen gefährlichen Reisen für sie nicht realisierbar gewesen wären, hat den regelrechten „Drang“ nach Arbeit schließlich überwogen.

„Bearing Witness“ zeichnet ein genaues Bild seiner fünf Protagonistinnen, die im Krieg „ihren Mann“ stehen. Jenseits aller Geschlechterstereotype zeigen die Frauen, dass ihre gefährliche Arbeit integraler Bestandteil ihres Selbstverständnisses ist. Mit großer Ehrlichkeit inszeniert der Film Momente der Ruhe und der Aufgeregtheit und spart auch Situationen, in denen es für die Beteiligten gefährlich wird nicht aus. Etwas befremdlich wirkt das der Authentisierungszwang, die vergangenen Erlebnisse der Reoprterinnen in Bildern „nachholen“ zu wollen (und das dazu in Schwarzweiß- und Slow-Motion-Aufnahmen). Dies tut der Wichtigkeit von „Bearing Witness“ als einem weiteren Informations-Puzzletstück im Gesamtbild dieses medialsten aller Kriege jedoch keinen Abbruch.

Bearing Witness
(USA 2005)
Regie: Bob Eisenhardt, Barbara Kopple & Marijana Wotton; Kamera: Joan Churchill & Richard Connors; Schnitt: Bob Eisenhard
Mit: Molly Bingham, Marie Colvin, Janine di Giovanni, Mary Rogers, May Ying Welsh
Verleih: n.n.
Länge: 90 Minuten

Stefan Höltgen

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